Mehr Freizeit für ein gutes Leben
Wer sich abseits der Arbeit erholen kann, ist im Erwerbsleben fit und zufrieden. Das funktioniert aber nur, wenn sich Arbeitgeber und Beschäftigte darum bemühen, dass Freizeit und Arbeit sich nicht allzu sehr vermischen.
Dieser Artikel erschien im Mitgliedermagazin KOMPETENZ, Ausgabe 1, Februar 2017
55 Prozent der Beschäftigten befassen sich auch in der Freizeit zumindest gelegentlich mit beruflichen Dingen, 20 Prozent sogar regelmäßig. 52 Prozent gehen häufig oder gelegentlich mit Sorgen wegen der Arbeitsmenge in den nächsten Arbeitstag, 48 Prozent fürchten zu erwartende Probleme und Herausforderungen, 32 Prozent plagen zumindest gelegentlich ein Unbehagen wegen Konflikten mit KollegInnen oder Vorgesetzten. Das ergab eine im Mai und Juni im Auftrag der Gewerkschaft GPA durchgeführte IFES-Umfrage unter 800 ArbeiterInnen und Angestellten ab 18 Jahren.
48 Prozent gaben zudem an, zu wenig Zeit zu haben, um ihre Freizeit vollständig nach ihren Wünschen zu gestalten. 40 Prozent sind nach der Arbeit zu müde und erschöpft, um ihre Freizeit aktiv zu organisieren. 38 Prozent werden durch familiäre oder sonstige Verpflichtungen daran gehindert. Doch Freizeit ist wichtig, wie auch der Gesundheitspsychologe Gerhard Blasche vom Zentrum für Public Health an der Medizinischen Universität Wien betont.
„Freizeit hat aus psychologischer Sicht zwei Funktionen: Erholung durch Wegfall von Verpflichtungen und dem damit einhergehenden Stress und die Möglichkeit zur Bestätigung beziehungsweise Erfüllung psychologischer Bedürfnisse. Dadurch führt Freizeit in der Regel zu einer Steigerung des Wohlbefindens und einer Verringerung der Ermüdung.“ Arbeitsstress und lange Arbeit können allerdings die Qualität der Freizeit und deren Erholungswert etwa durch die Reduktion der Fähigkeit, sich von der Arbeit mental zu distanzieren, beeinträchtigen. Das ist das, was man landläufig unter „abschalten können“ versteht.
Bewegung in der Freizeit fördert Gesundheit
Wer sich übrigens in seiner Freizeit bewegt, fördert seine Gesundheit und beugt sowohl Herz-Kreislauf- als auch Krebs-Erkrankungen vor. Arbeitsstress und lange Arbeitszeit führen aber dazu, dass Menschen weniger Sport betreiben, gibt Blasche zu bedenken. Wer sich jedoch zu müde und erschöpft fühlt, um seine Freizeit aktiv zu gestalten, dem ist in seiner Freizeit nicht nach Bewegung. Das ist ein Teufelskreis: Freizeitmangel erhöht das Risiko von Erschöpfung.
Zu einem gelungenen Leben gehören nicht nur gute Bedingungen am Arbeitsplatz, „sondern ganz wesentlich auch die Gestaltung und Qualität unserer Freizeit“, betont GPA-Bundesvorsitzende Barbara Teiber. Doch, siehe Umfrageergebnisse, „das Verschwimmen von Arbeitszeit und Freizeit ist für viele ein Problem und Stressfaktor und schadeten einer guten Freizeitqualität“. So sagen elf Prozent der befragten Beschäftigten, dass sie private Termine oder Verabredungen häufig wegen kurzfristiger beruflicher Verpflichtungen absagen müssen, für 34 Prozent ist es gelegentlich so. Und 45 Prozent haben schon einen geplanten Urlaub wegen des Berufs abgebrochen oder verschoben. „Wir fordern deshalb auf betrieblicher Ebene klare Vereinbarungen“, betont Teiber.
Die inzwischen abgesetzte ÖVP/FPÖ-Regierung hat es mit der Arbeitszeitflexibilisierung ermöglicht, dass Beschäftigte bis zu zwölf Stunden am Tag und bis zu 60 Stunden in der Woche arbeiten. Die Normarbeitszeit liegt aber weiter bei acht Stunden pro Tag und 40 Stunden pro Woche. Geht es nach dem Wunsch der ArbeitnehmerInnen, würden viele gerne weniger arbeiten als sie dies derzeit tun. Bei der IFES-Befragung gaben die Befragten (sowohl Vollzeit- als auch Teilzeitarbeitende) an, im Schnitt 39,5 Stunden in der Woche zu arbeiten, aber lediglich 32,9 Stunden arbeiten zu wollen. Männer kommen auf eine Wochenarbeitszeit von 42 Stunden, würden aber gerne nur 34,7 Stunden arbeiten, Frauen sind 36,7 Stunden erwerbstätig, möchten aber lediglich 30,8 Stunden arbeiten.
Abschalten schwer möglich
So erstaunt es auch nicht, dass 17 Prozent der Frauen und 19 Prozent der Männer angaben, sie können in ihrer Freizeit unter der Woche „eher weniger“ oder „so gut wie gar nicht“ abschalten und sich für den nächsten Arbeitstag gut erholen. Besonders hoch fallen diese Werte bei Beschäftigten mit fremdbestimmter variabler Arbeitszeit aus. Sie können zu 31 Prozent „eher weniger“ und zu 14 Prozent „so gut wie gar nicht“ abschalten.
Teiber konstatiert dazu: „Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Befragung. Jene ArbeitnehmerInnen, die variable Arbeitszeiten haben, über diese aber nicht selbst bestimmen können, haben die meisten Probleme.“ Sie pocht auf mehr Rechte bei der Durchsetzung selbstbestimmter Arbeitszeiten. „Wir fordern ein Recht auf die 4-Tage-Woche und das Recht, Gutstunden in ganzen Tagen abzubauen.“ Laut Befragung ist Letzteres zwar 34 Prozent „immer“ und 28 Prozent „häufig“ möglich, aber 18 Prozent „nie“ und 20 Prozent nur „selten“. Am stärksten unter Druck sind dabei MitarbeiterInnen in kleinen Betrieben. In Unternehmen mit bis zu 20 Beschäftigten können 29 Prozent der ArbeitnehmerInnen „nie“ und elf Prozent nur „selten“ Zeitausgleich en bloc in ganzen Tagen konsumieren.
Am besten ist es aus Sicht von ArbeitnehmerInnen, wenn erst gar nicht zu viele Mehrstunden zusammenkommen. Wer sich zudem darauf verlassen kann, den Arbeitsplatz zeitgerecht zu verlassen, dessen Gedanken werden auch in der Freizeit nicht ständig um die Arbeit kreisen, denn je länger man im Arbeitsprozess steckt, desto stärker ist auch die Arbeitsverdichtung.
Best-practice-Modell bei BMW Steyr
Dass es hier trotz gesetzlicher Möglichkeiten, ArbeitnehmerInnen länger als noch vor einem Jahr einzusetzen, Modelle gibt, die dafür sorgen, dass sich Arbeit und Freizeit die Waage halten, zeigt das BMW-Werk Steyr vor. Dort werden MitarbeiterInnen 50 Minuten bevor die zehnte Arbeitsstunde beginnen würde, via Outlook oder über den Kalender am Smartphone informiert, dass eine Überschreitung der Arbeitszeit droht. Dem Unternehmen gehe es zwar vor allem darum, Mehrkosten durch Mehrarbeit gering zu halten, sagt Betriebsratsvorsitzender Karl Lang. Aber Betriebsrat und Unternehmen sind sich einig, dass durch überlange Arbeitszeiten gesundheitliche Risiken entstehen und auch die Arbeitseffizienz sinkt.
Lang sieht allerdings sehr unterschiedliche Bedürfnisse in den verschiedenen MitarbeiterInnengruppen. Etwa 500 Beschäftigte gebe es in Steyr im Bereich Produktion, etwa 500 im Bereich Forschung und Entwicklung. Dem trage wiederum ein sehr flexibles Gleitzeitmodell am Standort Rechnung. Gearbeitet werden kann hier zwischen sechs und 19 Uhr, „Kernarbeitszeit gibt es keine“, sagt Lang. Das erhöhe die individuelle Flexibilität der MitarbeiterInnen sehr. „Das Modell hat eine hohe Akzeptanz“, so der Betriebsratsvorsitzende.
Dem stehen Betriebe gegenüber, die es als selbstverständlich ansehen, dass ihre MitarbeiterInnen ständig erreichbar und verfügbar sind. So mag es zwar kein hoher Zeitaufwand sein, ab und zu am Smartphone die Mails zu checken und dringende sofort zu beantworten. Aber es führt eben dazu, dass Menschen nicht abschalten und ihre Freizeit genießen und sich erholen können. Oft wird diese Arbeit zwischendurch auch nicht entlohnt. Hier erinnern die GPA-ExpertInnen ArbeitnehmerInnen daran: Wenn nach dem eigentlichen Arbeitsende zu Hause noch E-Mails beantwortet werden, handelt es sich um Arbeitszeit, die auch aufgezeichnet werden und in der Folge entsprechend bezahlt werden sollte. Fazit: Niemand muss rund um die Uhr erreichbar sein. Und wenn doch, dann sind diese geleisteten Arbeitsstunden abzugelten.
Freizeit abends und am Wochenende schafft regelmäßige Pausen, um sich zu erholen. Befragt nach dem Ausmaß der freien Zeit an einem durchschnittlichen Arbeitstag, bezifferten die Beschäftigten im Rahmen der IFES-Umfrage dieses mit im Schnitt 3,76 Stunden. Frauen haben tendenziell weniger Freizeit mit im Durchschnitt 3,46 Stunden. Freizeit soll nach dem österreichischen Arbeitsrecht übrigens der Erholung, Selbstverwirklichung und weiteren selbstbestimmten Aktivitäten dienen.
Urlaubsantritt nicht immer selbstbestimmt
Längere Erholung bietet der Urlaub, der es ArbeitnehmerInnen möglich macht, zu verreisen oder aber zu Hause mehrere Tage oder Wochen am Stück eine Auszeit von der Erwerbsarbeit zu nehmen. Bei 70 Prozent der Beschäftigten kommt es allerdings vor, dass der Urlaub nicht zum gewünschten Zeitpunkt konsumierbar ist. In Haushalten mit Kindern beträgt dieser Prozentsatz sogar 78 Prozent. Teiber fordert daher für Eltern von Schulkindern einen rechtlichen Anspruch auf drei Wochen Urlaub in der schulfreien Zeit. Weiter einsetzen will sich die Gewerkschaft GPA zudem für das leichtere Erreichen einer sechsten Urlaubswoche. Das wurde auch von 93 Prozent der Befragten begrüßt.
Aktuell stehen ArbeitnehmerInnen fünf Urlaubswochen pro Jahr zu. Nach 25 Jahren bei einem Arbeitgeber gibt es eine sechste Woche. Flexibilisierung am Arbeitsmarkt betrifft aber – nicht zuletzt durch die entsprechende Novellierung der Arbeitszeitregeln – nicht nur die Tages- und Wochenarbeitszeit. Berufstätige wechseln heute öfter als in früheren Jahrzehnten den Job, eine 25-jährige Verweildauer bei einem Arbeitgeber erreichen nicht viele. Urlaub muss übrigens immer zwischen Arbeitgeber und ArbeitnehmerIn vereinbart werden, wobei der Urlaubswunsch zeitgerecht, das bedeutet drei Monate zuvor, bekannt zu geben ist.
Nach dem Urlaub ist vor dem Urlaub. So mancher Arbeitnehmer meint bereits wenige Tage nach der Rückkehr an den Arbeitsplatz, der Erholungswert sei schon nicht mehr spürbar. À la longue könnte da nur eine generelle Arbeitszeitreduktion helfen. So meinte etwa der Ökonom Bruno Frey, der sich seit Jahrzehnten der Frage widmet, was Menschen glücklich macht, kürzlich in einem Interview mit „Die Zeit“: „Ich würde sagen, ein gutes Leben bedeutet, dass man mit seiner Familie, seinen Freunden und seinen Bekannten in einem guten Verhältnis steht“. Um Beziehungen zu pflegen, braucht es aber Zeit – und auch den Kopf dafür. Wer erschöpft in seine Freizeit startet, dem ist nicht danach, Einladungen zu planen. Frey sagt daher, „ich bin dafür, dass wir die Arbeitszeit etwas reduzieren“.
Das würde auch, sieht man sich die Ergebnisse der IFES-Befragung an, den Wünschen vieler Beschäftigter entsprechen. Barbara Teiber macht sich deshalb für eine Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit stark. Der Kurs, den die ÖVP/FPÖ-Regierung mit der Arbeitszeitflexibilisierung vorgegeben hat, mag ein anderer sein. Doch Rahmenbedingungen sind nicht in Stein gemeißelt und lassen sich mit neuen Mehrheitsverhältnissen im Nationalrat vielleicht auch wieder ändern.