Binnenmigration in der EU: Auswandern für den Job
- Was ist unter „EU-Binnenmigration“ zu verstehen?
Aufgrund der vier Grundfreiheiten der EU ist es allen UnionsbürgerInnen möglich, überall in der EU zu wohnen und zu arbeiten (Niederlassungsfreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit). Allerdings sind Fragen der sozialen Absicherung, des Arbeitsrechtes oder des Lohnniveaus in den Mitgliedsstaaten verschieden geregelt. Die Arbeitsmarktpolitik sowie die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften unterscheiden sich. Auch die Finanzmarktkrise im Jahr 2008 hat mehr Bewegung innerhalb Europas erzeugt (beispielsweise Arbeitsmigration aus Spanien). - Woher kommen die Leute, die in Österreich arbeiten?
Der Hauptzuzug nach Österreich im Rahmen der Binnen-/Arbeitsmigration kommt aus Deutschland und aus osteuropäischen Staaten. Insgesamt sind das derzeit ca. 320.000 Personen. Ca. 35 % dieser ArbeitnehmerInnen haben ihren Wohnort nicht in Österreich, sondern sind sogenannte Tages- oder WochenpendlerInnen. - Was würde die oft diskutierte Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit bedeuten?
Der Zugang zum Arbeitsmarkt für EU-BürgerInnen zählt zu den Grundrechten der Europäischen Union. Die politisch oft diskutierte Forderung nach der Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zielt letztlich darauf ab, dass Arbeitsverbote und Genehmigungsverfahren für EU-BürgerInnen wiedereingeführt werden. Solche Regelungen gelten derzeit für Menschen aus Nicht-EU-Staaten. - Kann das europäische Grundrecht auf Arbeitsmarktzugang überhaupt beschränkt werden?
Eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist nach geltendem EU-Recht nicht möglich. Derzeit sehen die EU-Verträge und die entsprechenden EU-Richtlinien weder eine Möglichkeit für zeitlich befristete Ausnahmen noch Klauseln für definierte Notfällen vor. Der volle Arbeitsmarktzugang gilt auch für alle neuen EU-Länder Mittel- und Osteuropas nach dem Auslaufen der 7-jährigen Übergangsfristen (mit Einschränkungen). Für Kroatien endet diese Frist 2020. - Wäre eine Änderung dieses EU-Rechts politisch überhaupt möglich?
Ein Aussetzen der – grundrechtlich im EU-Vertrag festgelegten – Arbeitnehmerfreizügigkeit kann man zwar politisch fordern und die Möglichkeit der Änderung der Rechtsgrundlage prüfen. Die dafür notwendige Mehrheit in EU-Rat und -Parlament ist allerdings so gut wie ausgeschlossen. Nicht nur die VertreterInnen aus Mittel- und Osteuropa werden hier in Hinblick auf die Interessen ihrer Bevölkerung mit ziemlicher Sicherheit ihr Veto einlegen. - Ist die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit beschäftigungspolitisch sinnvoll?
Eine Einschränkung würde dazu führen, dass auch EU-BürgerInnen ohne sozialversicherungsrechtlichen und kollektivvertraglichen Schutz arbeiten würden. Kurz gesagt: Es kommt zu einer Zunahme der illegalen Beschäftigung. Diese „undokumentierten“ Arbeitsverhältnisse stellen bereits jetzt ein großes Problem für Menschen aus Nicht-EU-Staaten dar. Sie schädigen den Arbeitsmarkt, indem arbeitsrechtliche Standards unterlaufen und Steuerzahlungen umgangen werden. - Was kann die Politik beim Thema Binnenmigration tun?
Handlungskompetenzen liegen hier sowohl bei der EU als auch in Österreich. Der Grund für die EU-Binnenwanderung ist das hohe Wohlstands- und Einkommensgefälle zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, das sich durch die Krisen seit 2008 noch weiter verschärft hat. Die Perspektivenlosigkeit von EU-weit rund 23 Millionen Arbeitslosen, von fast fünf Millionen Jugendlichen muss auf europäischer Ebene bekämpft werden – unter anderem mit einem radikalen wirtschaftspolitischen Kurswechsel und weg von der Sparpolitik. - Was ist die Alternative zur europäischen Sparpolitik?
Vor allem Investitionen können die wirtschaftliche und soziale Lage in Europa verbessern. Dadurch werden Arbeitsplätze geschaffen und die Wertschöpfung wird gesteigert. Insbesondere öffentliche Investitionen – die durch den Stabilitätspakt derzeit stark eingeschränkt sind – schaffen langfristig einen Mehrwert. Wir fordern daher eine „goldene Investitionsregel“, um öffentliche Investitionen zu ermöglichen und auszubauen (bspw. im Bildungsbereich oder bei der Schaffung von leistbarem Wohnraum). - Wie kann die EU Arbeitslosigkeit bekämpfen?
Die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und insbesondere von Jugendarbeitslosigkeit muss in der politischen Agenda der EU prioritär sein. Entsprechende Mittel sind im EU-Budget vorzusehen: etwa indem man den Europäischen Sozialfonds ausweitet oder Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit höher dotiert. Konkrete, treffsichere Projekte (bspw. für Bildungsmaßnahmen, Arbeitsplatzschaffung) in den Nationalstaaten können dadurch angestoßen und finanziert werden. - Kann man etwas gegen das EU-weite Wohlstandsgefälle tun?
Eine EU-weite Absicherung sozialstaatlicher Standards ist längst überfällig. Ziel muss eine Verankerung sozialer Mindeststandards inkl. Lohnuntergrenzen auf nationaler Ebene (mindestens 50 % des mittleren Lohns sowie Ersatzraten) sein, um eine Existenzsicherung zu ermöglichen. Das würde die Motive für (Arbeits-) Migration verringern. - Wie sollen die EU-Maßnahmen finanziert werden?
Die Sparpolitik der letzten Jahre hat darauf abgezielt, die Budgets ausgabenseitig zu sanieren, das heißt, dass die öffentlichen Institutionen kaum Schulden aufnehmen durften. Dieser Weg führte zu weniger Investitionen und weniger wirtschaftlichem Wachstum. Man kann ein Budget aber auch einnahmenseitig aufbessern. Maßnahmen wären: die rasche Einführung der Finanztransaktionssteuer und vermögensbezogener Steuern sowie wirksame Maßnahmen gegen Steuerbetrug, Steuerhinterziehung, aggressive Steuerplanung etc.