Die EU-Entsenderichtlinie: Regelungen für grenzüberschreitende Arbeitsaufträge
- EU-Entsenderichtlinie – wer entsendet wen warum wohin?
„Entsendet“ werden ArbeitnehmerInnen, wenn sie für ihr Unternehmen vorübergehend in einem anderen Staat Aufträge ausführen. Da sich dabei in der Praxis Probleme bezüglich Lohndumpings ergaben, wurde 1996 die sogenannte EU-Entsenderichtlinie geschaffen. Es geht dabei nicht um EU-BürgerInnen, die regulär in einem österreichischen Unternehmen arbeiten oder die täglich bzw. wöchentlich pendeln (Arbeits- bzw. Binnenmigration). - Warum kann es bei Entsendungen zu Lohn- und Sozialdumping kommen?
Aufgrund unterschiedlicher Arbeits- und Sozialrechte sowie Lohn-/Gehaltspolitik kostet Arbeit in den verschiedenen Ländern der EU unterschiedlich viel. Durchschnittlich kostete 2014 eine Arbeitsstunde in Österreich 31,5 Euro, in der Slowakei etwa 9,7 Euro und in Bulgarien sogar nur 3,2 Euro. Ein Unternehmen kann sich also unter Umständen viel Geld auf Kosten der ArbeitnehmerInnen ersparen, bspw. durch Gründung einer Briefkastenfirma oder durch Beauftragung ausländischer Arbeitskräfte. - Was ist das Ziel der EU-Entsenderichtlinie?
Ein Wettbewerb auf Kosten der Löhne (Lohndumping) soll verhindert werden, indem das Prinzip „gleicher Lohn am gleichen Ort“ durchgesetzt wird. Das bedeutet, dass sich bei grenzüberschreitender Beschäftigung bestimmte Arbeitsbedingungen (insbes. KV-Mindestlöhne und Arbeitsbedingungen wie Höchstarbeitsgrenzen) nach dem Beschäftigungsort richten. - Beispiel für die Anwendung der EU-Entsenderichtlinie?
Wenn bei einer Wohnhausrenovierung in Österreich eine ungarische Firma beauftragt wird und diese ihre ArbeitnehmerInnen nach Österreich entsendet, haben sie während ihrer Beschäftigung dieselben Ansprüche wie österreichische ArbeitnehmerInnen. Das gilt aber nur bei längerfristiger Beschäftigung – wenn bspw. ungarische ArbeitnehmerInnen nur für eine Montage kurzfristig entsendet werden, hat die EU-Entsenderichtlinie keine Gültigkeit (was natürlich Missbrauchsgefahr birgt). - Gilt die EU-Entsenderichtlinie überall gleich?
Das Grundprinzip der Entsenderichtlinie gilt für alle EU-Staaten, die einzelnen Mitgliedsstaaten haben jedoch einen gewissen Spielraum, wie sie eine EU-Richtlinie in ihrem Gesetz umsetzen. In Österreich wurde sie Ende der 1990er Jahre im Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) insbes. in den §§ 7 bis 7c für alle Sektoren umgesetzt. Andere Länder haben die Entsenderichtlinie nur für die Baubranche umgesetzt. - Wie wurde die EU-Entsenderichtlinie in Österreich gesetzlich umgesetzt?
JedeR ArbeitnehmerIn hat zwingend den Anspruch auf zumindest jenes Entgelt, das am Arbeitsort vergleichbaren ArbeitnehmerInnen von vergleichbaren ArbeitgeberInnen gebührt. In der Praxis wird hierfür in Österreich vor allem der entsprechende Kollektivvertrag herangezogen. Durch das Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzt sieht seit 2011 behördliche Kontrollen der Löhne und Gehälter vor – bei vorsätzlicher Unterzahlung sind Sanktionen für die ArbeitgeberInnen vorgesehen. - Werden ausländische ArbeitgeberInnen bei Unterzahlung zur Verantwortung gezogen?
In der Praxis enden leider die Kontrollen an der österreichischen Grenze und ausländische ArbeitgeberInnen können selten finanziell zur Verantwortung gezogen werden. Es ist zwar mittlerweile normal, Strafmandate bei Verkehrsübertretungen EU-weit zu exekutieren – bei Sozialbetrug und unlauterem Wettbewerb ist dies allerdings nicht möglich. Deswegen ist hier eine Änderung der EU-Entsenderichtlinie sowie bei der Rechtsdurchsetzung von Verwaltungsstrafen dringend notwendig. - Wo und wie sind entsandte ArbeitnehmerInnen sozialversichert?
Wenn ArbeitnehmerInnen länger als 24 Monate in einen anderen Staat entsandt werden, müssen sie von Beginn an bei der Sozialversicherung des Zielstaates angemeldet werden. Bei einer Entsendung unter 24 Monaten bleibt die Versicherungspflicht im Herkunftsland bestehen. Eine doppelte Pflichtversicherung darf es EU-rechtlich nicht geben. - Ergeben sich aus dieser Sozialversicherungsregelung Probleme?
Der Großteil der ArbeitnehmerInnen wird für einen kürzeren Zeitraum als 24 Monate entsandt. Dadurch kann es tatsächlich zu einer Wettbewerbsverzerrung kommen, da von AuftraggeberInnen geringere Sozialversicherungsbeiträge kalkuliert werden könnten (z.B. ungarische ArbeiterInnen bei Hausrenovierung). Die Vorgehensweise, insbes. die 24-Monate-Frist, ist also gewerkschaftlich in Frage zu stellen. - Wo zahlen entsandte ArbeitnehmerInnen ihre Steuern?
Im Großen und Ganzen gilt die Regelung, dass ArbeitnehmerInnen in dem Staat ihre Steuern zu bezahlen haben, in dem sie ansässig sind, also ihren Hauptwohnsitz haben. Halten sie sich allerdings innerhalb von 12 Monaten länger als 183 Tage im Zielstaat auf (bzw. werden von einer dortigen Betriebsstätte des/der ArbeitgeberIn bezahlt), werden sie in ebd. Zielstaat steuerpflichtig. Über die Arbeitnehmerveranlagung müssen sie dies beim zuständigen Heimfinanzamt angeben. - Was sind aus Gewerkschaftssicht die Defizite bei der EU-Entsenderichtlinie?
Neben der eingeschränkten Kontrolle und der fehlenden Durchsetzungsmöglichkeit von Sanktionen und Verwaltungsstrafen über die Grenzen hinweg, stellt sich das Problem, dass die ausländischen Unternehmen ihren entsandten Arbeitskräften nicht alle Lohnbestandsteile bezahlen muss. Es bedarf einer inhaltlichen Ausweitung der EU-Entsenderichtlinie dahingehend, dass über das KV-Mindestgehalt hinaus alle entgeltrelevanten Bestandteile einzubeziehen sind. Zudem fordern unterbezahlte ArbeitnehmerInnen nur selten das ihnen zustehende Entgelt via Rechtsweg ein. - Wurde die EU-Entsenderichtlinie in der Vergangenheit verbessert?
Der EGB und die europäischen Gewerkschaften setzen sich seit Jahren für eine umfassende Überarbeitung der EU-Entsenderichtlinie ein. 2014 wurde eine sogenannte „Durchsetzungsrichtlinie“ verabschiedet, die zumindest einige Verbesserungen beinhaltet (z.B. bei der Behördenzusammenarbeit und der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Verwaltungsstrafen). Mehrere Grundprobleme bleiben allerdings bestehen. - Gibt es nicht aktuell einen neuen Kommissionsvorschlag für die EU-Entsenderichtlinie?
Ja, am 8.März 2016 präsentierte die Kommission ihren neuen Vorschlag. Präsident Jucker kündigte bereits bei seinem Amtsantritt an, das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ durchsetzen zu wollen. Leider birgt der neue Entwurf kaum Verbesserungen, grundlegende Forderungen der Gewerkschaft bleiben unerfüllt. - Worum geht es bei dem aktuellen Vorschlag der Kommission?
Neben einigen Verbesserungen im Anwendungsbereich plant die Kommission eine zeitliche Beschränkung von Entsendungen auf zwei Jahre. Für entsandte Beschäftigte sollen die Mindestlöhne des Ziellandes gelten, in Österreich also die Kollektivverträge. - Welche Auswirkungen hat das, insbesondere auf das österreichische Recht?
Die Ausweitung des Anwendungsbereichs über die Baubranche hinaus hat auf Österreich keine Auswirkung, da hier von Anfang an eine Gültigkeit für alle Sektoren beschlossen wurde. Die zeitliche Beschränkung wird kaum greifen, da die meisten WanderarbeitnehmerInnen für weniger als 6 Monate in ein anderes Land geschickt werden. Die kollektivvertraglichen Mindestlöhne sind hier bereits gesetzlicher Standard. - Was sind gewerkschaftliche Kritikpunkte am aktuellen Vorschlag der Kommission?
Es sind keine Maßnahmen gegen den Missbrauch von Entsendungen vorgesehen. Ursprünglich angedacht war bspw. eine Mindestbeschäftigungszeit. Schritte gegen Scheinentsendungen (Scheinselbstständigkeit, Briefkastenfirmen) fehlen gänzlich. Auch sozialversicherungsrechtliche Unterschiede, die zu einem unfairen Wettbewerb führen können, werden nicht behandelt. Zudem steht die Forderung, dass über den kollektivvertraglichen Mindestlohn hinaus auch Zulagen bezahlt werden sollen. Die zeitliche Beschränkung von Entsendungen muss von zwei Jahren weiter herab gesetzt werden. - Warum hat die Gewerkschaft nicht schon früher ihre Forderungen bei der Kommission eingebracht?
Die Sozialpartner wurden im Vorfeld der Richtlinienerstellung wieder einmal ausgeschlossen und konnten sich nicht in die Konsultation einbringen. Als Informationen durchsickerten, enthielt der Kommissionsvorschlag allerdings anstatt der landesüblichen Mindestlöhne nur eine Bestimmung für einen Lohn, der „für den Schutz der Arbeitnehmer notwendig“ ist. Diese Formulierung hätte nicht nur rechtliche Unklarheit, sondern auch einen Rückschritt bedeutet. Durch unseren Einsatz wurde dieser Passus konkretisiert und verbessert. - Wofür setzt sich die Gewerkschaft bei der Überarbeitung der EU-Entsenderichtlinie ein?
- Umfassendere Auskunftsrechte für die ArbeitnehmerInnen
- Verbesserter Rechtszugang entsandter ArbeitnehmerInnen
- Entgeltausweitung auf alle Lohnbestandsteile, insbesondere sozialversicherungsrechtlich
- Umfassendere Kontrollmaßnahmen in den Mitgliedsstaaten
- Europaweite Generalunternehmerhaftung
- Ermöglichung einer effizienten grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung
- Wirksame Verfahren zur Verhinderung von Scheinentsendungen/Briefkastenfirmen (u.a. Mindestbeschäftigungsdauer im Heimatland vor Entsendung)
- Soziale Grundrechte haben Vorrang vor den Binnenmarktfreiheiten