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Ein starkes Europa in einer Welt voller Herausforderungen

Insgesamt hat sich diese Präsidentschaft jedoch eher der Fortführung bereits begonnener Dossiers und Projekte verschrieben und nur wenig eigene Akzente gesetzt. Wichtige Forderungen aus gewerkschaftlicher Sicht zur Weiterentwicklung der EU sind nicht zu finden. Die kroatische EU-Ratspräsidentschaft wird sich thematisch im Wesentlichen mit folgenden Schwerpunkten auseinandersetzen (müssen):

  • Rund um die Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU 2021-2027 soll eine Einigung erzielt werden
  • die Abwicklung des Brexit und der damit einhergehende Start der Verhandlungen zur künftigen Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich
  • Kroatien möchte ein Hauptaugenmerk auf die Erweiterungspolitik der EU am Westbalkan legen

Heranführung der Westbalkanstaaten in die EU hat oberste Priorität

Aufgrund seiner geografischen Lage hat Kroatien ein großes Interesse daran, die übrigen Westbalkanstaaten in die Europäische Union zu integrieren und damit Stabilität und Sicherheit in dieser Region zu gewährleisten. Insbesondere die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien sind eines der Hauptanliegen der kroatischen Ratspräsidentschaft. Darüber hinaus soll auch Bosnien-Herzegowina den Beitrittskandidaten-Status erhalten und auf Sicht EU-Mitglied werden. Unterstützung für und Fortschritte bei den Verhandlungen zum EU-Beitritt soll es auch für Serbien und Montenegro geben. Der Kosovo wird ebenfalls als potenzieller Beitrittskandidat betrachtet, der kroatische Vorsitz möchte sich auch hier um die Weiterentwicklung der Beziehungen zur Republik kümmern. Im Mai 2020 soll ein EU-Westbalkan Gipfeltreffen dazu in Zagreb stattfinden.

Die Heranführung der Westbalkanstaaten in die EU ist grundsätzlich natürlich unterstützenswert, birgt jedoch vor allem bei einer zu raschen Aufnahme Gefahren. Denn diese Staaten werben für ihren Wirtschaftsstandort vor allem mit niedrigen Unternehmenssteuern, geringen Löhnen und schlechter sozialer Absicherung. Dieses Geschäftsmodell kann Beschäftigte in anderen EU-Ländern unter Druck bringen und wird dringend benötigte Einigungen auf europäischer Ebene, beispielsweise die gemeinsame Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage oder gegebenenfalls die Digitalsteuer zulasten der Steuergerechtigkeit erschweren. Zudem müssten Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit jedenfalls erfüllt sein, bevor ein EU-Beitritt erwogen wird.

Wenig Ambitionen im Bereich der Sozialpolitik: Europäische Säule sozialer Rechte soll aber umgesetzt werden

Das Kapitel zur Beschäftigungs- und Sozialpolitik ist sehr dünn ausgefallen und stark von allgemeinen Stehsätzen geprägt. Obwohl die neue EU-Kommission vor allem in sozialpolitischen Fragen mehrere Initiativen, wie jene zum Europäischen Mindestlohn oder dem „just transition fund“ angekündigt hat, bezieht die kroatische Präsidentschaft hier in keinem Wort Stellung dazu. 

Das klare Bekenntnis zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte ist hingegen erfreulich, auch wenn dies eher zusammenhangslos und ohne konkrete Umsetzungsschritte formuliert wird. Positiv hervorzuheben ist auch der angekündigte Dialog mit den SozialpartnerInnen, wenn es um die Verbesserung von Arbeitsbedingungen geht.

Der Ratsvorsitz ortet außerdem im Zuge von Globalisierung, Digitalisierung und Automatisierung weitreichende Veränderungen am Arbeitsmarkt. Niedrig qualifizierte Beschäftigte sollen daher durch zusätzliche Ausbildungsmöglichkeiten ihre Chancen am Arbeitsmarkt steigern können. Unter dem Prinzip des „lebenslangen Lernens“ sollen nicht nur Chancen und Fähigkeiten von Beschäftigten erhöht werden, sondern auch Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Innovationskraft der Unternehmen gesteigert werden.

Wie diese Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen werden können und wie man europaweit einen Anspruch auf „lebenslanges Lernen“ für Beschäftigte verankern könnte, wird jedoch nicht erwähnt.

Vertiefung des Binnenmarktes zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und die Vollendung der Bankenunion 

Der kroatische Ratsvorsitz verschreibt sich der weiteren Vertiefung des Europäischen Binnenmarktes zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Europas. Damit ist vor allem von einer Überarbeitung der Regeln im Sinne einer Vereinfachung der Gesetzgebung sowie der Reduktion von Überregulierungen die Rede. Die wirtschaftspolitische Agenda der kroatischen Ratspräsidentschaft steht damit ganz im Zeichen einer Fortsetzung konservativer und neoliberaler Politik.

Als weiterer wichtiger Integrationsschritt innerhalb der EU wird die Vertiefung der Bankenunion genannt, bei der besonders die gemeinsame europäische Einlagensicherung (EDIS) im Vordergrund stehen soll. Eine Vollendung der Bankenunion, die durch eine gemeinsame Letztsicherung und ein europäisches Einlagenversicherungssystem, angestrebt werden soll, kann aus gewerkschaftlicher Sicht nur dann Unterstützung finden, wenn damit auch eine umfassende Regulierung der Finanzmärkte, eine Bankenstrukturreform sowie die Regulierung von Schattenbanken einhergeht. Davon ist im Programm jedoch keine Rede.

Maßnahmen gegen den demografischen Wandel in ganz Europa

Der kroatische EU-Ratsvorsitz thematisiert die negativen demografischen Entwicklungen in Europa, die zu einer immer älter werdenden Gesellschaft führen und eine wesentliche Herausforderung unserer Zukunft darstellen. Neben den spürbaren Auswirkungen für den Arbeitsmarkt wird diese Entwicklung auch die Budgets der Mitgliedstaaten künftig stark beeinflussen. Die kroatische Präsidentschaft wird daher Maßnahmen und Aktivitäten unterstützen, die darauf abzielen, die negativen Auswirkungen dieser demografischen Trends abzuschwächen.

Der demografische Wandel stellt in der Tat große Herausforderungen für die Staaten in Europa dar. Das gilt insbesondere für Kroatien, aus dem seit dem EU-Beitritt viele junge Menschen in andere europäische Länder ausgewandert sind. Wenn von Maßnahmen gegen diesen Trend die Rede ist, kann jedoch davon ausgegangen werden, dass vor allem Angriffe auf das Pensionssystem und längere Arbeitszeiten im Vordergrund stehen. Dies gilt es jedenfalls abzulehnen.