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EU-Richtlinie zu Mindestlöhnen: Vorläufige Einigung erzielt

Holger de Vries

Die VerhandlungsführerInnen von Parlament, Rat und Kommission haben am 7. Juni eine vorläufige Einigung über die EU-Richtline zu angemessenen Mindestlöhnen erzielt. Bis Ende September wird mit einem formellen Abschluss der Gesetzesinitiative gerechnet. Studien zufolge wird die Richtlinie etwa 24 Mio. EuropäerInnen Lohnerhöhungen bringen. 

Kontroverse Gesetzesinitiative kurz vor dem Abschluss

Die Kommission hat 2020 einen Vorschlag über „angemessene Mindestlöhne in Europa“ vorgelegt. Dieser wurde über zwei Jahre kontrovers diskutiert. Einzelne Mitgliedstaaten und Arbeitgeberverbände sprachen sich strikt gegen die Initiative aus, während die Mehrheit des Europäischen Parlaments und die Gewerkschaften hohe Ansprüche hatten. Denn die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne ist ein klares Signal in Richtung einer EU, die sich nicht mehr nur als reine Wirtschaftsunion betrachtet, sondern auch die Anliegen der Beschäftigten stärker ins Auge fasst. Bis zur letzten Minute wurde um Kompromisse gerungen.

Erfolg der Gewerkschaften: Stärkung kollektiver Verhandlungsmodelle in der ganzen EU

EU-Länder mit funktionierenden KV-Systemen werden durch die Richtlinie nicht verpflichtet, nationale Mindestlöhne einzuführen. Ziel der Gesetzesinitiative ist es in erster Linie, kollektive Verhandlungsmodelle zu fördern, denn diese sind das beste Instrument, um höhere Löhne durchzusetzen. Die Mitgliedstaaten werden daher dazu aufgerufen, Kollektivverhandlungen aktiv zu fördern und voranzutreiben. 

Die KV-Abdeckungsraten innerhalb Europas sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von nur knapp 6% in Estland bis zu beinahe 100% in Italien. Jene 19 der 27 EU-Mitgliedstaaten, in denen die KV-Abdeckungsrate unter 80% liegt, werden der EU-Kommission künftig Aktionspläne zur Erhöhung dieser vorlegen müssen. Das ist ein wichtiger Schritt, um kollektive Verhandlungsmodelle in der EU zu stärken und voranzutreiben.

Die europäische Gewerkschaftsbewegung hat seit Beginn der Debatte um eine europäische gesetzliche Regelung rund um das Thema angemessene Mindestlöhne klargestellt, dass diese nur durch flächendeckende und funktionierende Kollektivverhandlungen umsetzbar sind. Die im Gesetzesvorschlag dezidiert vorgesehene Stärkung dieser Lohnfindungsmodelle ist ein großer Erfolg der europäischen Gewerkschaftsbewegung.

Gesetzliche Mindestlöhne müssen anhand objektiver Kriterien angemessen hoch sein

In 21 der 27 EU-Mitgliedstaaten gibt es gesetzliche Mindestlöhne. Die neue EU-Richtlinie soll künftig auch Parameter zur Höhe und Angemessenheit dieser Mindestlöhne festlegen. So werden etwa Kriterien wie die Kaufkraft, das allgemeine Lohnniveau, die nationale Produktionsentwicklung oder die Wachstumsrate der Löhne insgesamt dazu herangezogen. 

Am klarsten definiert ist jedoch die Forderung der europäischen Gewerkschaftsbewegung, nationale gesetzliche Mindestlöhne nicht unter 60% des Median- bzw. 50% des Durchschnittseinkommens in einem Land zu ermöglichen. Die explizite Erwähnung dieser Schwelle in der Richtlinie ist ein wichtiger Verhandlungserfolg. 

Darüber hinaus werden Länder mit gesetzlichen Mindestlöhnen dazu verpflichtet, klar definierte Anpassungsmöglichkeiten für die Höhe der Mindestlöhne festzulegen. Im Zuge dessen wird auch die Einbindung der Sozialpartner sichergestellt. 

Durch die Maßnahmen zur Erhöhung der gesetzlichen Mindestlöhne prognostizieren Studien Lohnerhöhungen für etwa 24 Mio. Beschäftigte innerhalb der EU.

Europäischer Gewerkschaftsbund mit Verhandlungsergebnis durchaus zufrieden

Durch diese Gesetzesinitiative kommen wir dem Ziel fairer und angemessener Löhne für alle Beschäftigten in Europa einen wichtigen Schritt näher. Bei ordnungsgemäßer Umsetzung der Richtlinie kann die Regelung zur Anhebung gesetzlicher Mindestlöhne in zahlreichen Ländern führen und den Schutz als auch den Ausbau kollektiver Lohnfindungsmodelle vorantreiben.

Kritisch zu betrachten in der Richtlinie sind hingegen die Ausnahmen bzw. Abzüge bei gesetzlichen Mindestlöhnen. Diese betreffen bestimmte Gruppen von Beschäftigten wie beispielsweise Lehrlinge oder PraktikantInnen. Insgesamt ermöglicht die Formulierung in der Richtlinie hier viele Umgehungsmöglichkeiten, die aus gewerkschaftlicher Sicht jedenfalls abzulehnen sind. 

Fazit aus österreichischer Gewerkschaftsperspektive: Positive Nebeneffekte!

Aufgrund der hohen KV-Abdeckungsrate und den vergleichsweise gut funktionierenden Kollektivverhandlungen in Österreich wird die EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne keine Auswirkungen auf das Lohnfindungsmodell in unserem Land haben. Es ist aber mit positiven Nebeneffekten für den Standort und die Beschäftigten hierzulande zu rechnen. Durch eine insgesamte Anhebung des Lohnniveaus in Europa könnte sich der Standortwettbewerb über niedrige Löhne langfristig entspannen. Lohn- und Sozialdumping über Entsendungen aus Niedriglohnstaaten würde sich als Geschäftsmodell unattraktiver gestalten.