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Europa 2014-2019: Was hat das Europäische Parlament erreicht?

Europäische Säule Sozialer Rechte

Ein Meilenstein ist die Einführung der Europäischen Säule Sozialer Rechte. Kommissionspräsident Juncker hatte in seiner Rede zur Lage der Union im September 2015 die Notwendigkeit betont, den sozialen Zusammenhalt in Europa zu stärken. Circa zwei Jahre später wurde die Europäische Säule Sozialer Rechte in Göteborg bei einem Sozialgipfel unterzeichnet.

Die Säule baut auf 20 Prinzipien auf (bspw. aktive Arbeitsmarktpolitik, Geschlechtergleichberechtigung, faire Löhne, Mitbestimmungsrechte von Beschäftigten, Gesundheitsvorsorge). Bedauerlicherweise sind diese Prinzipien unverbindlich. Die Mitgliedsstaaten sind zwar angehalten, sich nach ihnen zu richten, aber nicht verpflichtet, sie umzusetzen. Allerdings gingen aus der Säule Sozialer Rechte auch zwei konkrete Richtlinien hervor: Die Richtlinie für eine bessere Work-Life Balance und die für transparente Arbeitsverhältnisse.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Die Richtlinie umfasst mehrere Aspekte, um einerseits die Work-Life Balance der Menschen zu verbessern, andererseits Geschlechterungerechtigkeiten zu beseitigen. Das Europäische Parlament hat den Kommissionsvorschlag in vielen Punkten nachgebessert. Anfang April 2019 soll der Richtlinienvorschlag abgestimmt werden.

Mit den Maßnahmen der Richtlinie soll erreicht werden, dass Männer mehr Anteil an der Pflegearbeit übernehmen und vor allem die Möglichkeit bekommen, Zeit mit ihrem Kind zu verbringen. ArbeitnehmerInnen, die Angehörige pflegen müssen, werden besser abgesichert. 

Konkret:

Flächendeckend soll ein bezahlter Vaterschaftsurlaub (von mindestens 10 Tagen) eingeführt werden – ohne Mindestzugehörigkeit im Betrieb! Der Anspruch auf 4 Monate Elternurlaub soll festgeschrieben werden, wobei 2 dieser 4 Monate nicht von einem Elternteil auf einen anderen übertragbar sein sollen. Neu ist auch die Einführung eines individuellen Anspruchs auf mindestens 5 Arbeitstage Pflegezeit pro Jahr. Eltern von Kindern bis mindestens 10 Jahre sollen das Recht auf Beantragung flexibler Arbeitsregeln haben.

Transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen

Noch im Frühjahr 2019 soll diese Richtlinie beschlossen werden. Sie baut insbesondere die Rechte von atypisch Beschäftigen aus. Neue Beschäftigungsverhältnisse wie „Flexijobs“ unterhöhlen bestehende Rechte, weswegen dieses modernisiert und nachgebessert wurde. ArbeitnehmerInnen sollen mehr Planungssicherheit und Klarheit bekommen. Konkret:

Es soll eine Pflicht des Arbeitgebers bestehen, dass ArbeitnehmerInnen spätestens am ersten Arbeitstag schriftlich über die wesentlichen Aspekte des Beschäftigungsverhältnisses unterrichtet werden (anfängliche Bezahlung, Umfang bezahlter Urlaub, Arbeitszeiten, …). Die Probezeit soll zu diesem Zeitpunkt festgesetzt sein. ArbeitnehmerInnen sollen explizit die Möglichkeit der Mehrfachbeschäftigung bekommen – Ausschließlichkeitsklauseln sollen verboten, Unvereinbarkeitsklauseln eingeschränkt werden. Zudem sollen sie den Anspruch auf ein Ersuchen um Übergang zu einer Beschäftigungsform mit sicheren Arbeitsbedingungen bekommen. Auch ein Anspruch auf kostenlose Fortbildung soll eingeführt werden. Arbeit soll für Beschäftigte, deren Arbeitszeitplan veränderlich ist und vom Arbeitgeber bestimmt ist, planbarer sein.

Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping mit der Arbeitsbehörde und der neuen Entsende-Richtlinie

Nach jahrelangem Ringen insbesondere mit osteuropäischen Regierungen gelang 2018 endlich die Überarbeitung der Entsenderichtlinie. Damit konnten Verschärfungen der bestehenden Rechtslage erreicht werden. Die Dauer einer Entsendung wurde von 24 Monaten auf 12 Monate verkürzt (mit einer möglichen Verlängerung um 6 Monate) – danach müsste ein Arbeitsvertrag nach Standards des Ziellandes abgeschlossen werden und auch dort Sozialversicherung bezahlt werden.

Nachgebessert wurde auch bei der Bezahlung von entsandten Arbeitskräften: Auch Bestimmungen in regionalen und Branchenkollektivverträgen müssen nun jedenfalls zur Berechnung des Mindestlohns herangezogen werden. Reise-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten sind vom Arbeitgeber zu zahlen.

Zusätzlich wird eine Europäische Arbeitsbehörde eingerichtet. Sie soll ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen Informationen über Rechte und Pflichten in anderen Ländern bereitstellen. Außerdem wird sie die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten unterstützen, vor allem bei der grenzüberschreitenden Durchsetzung der Rechte, wenn es zu Verstößen kommt.

Unternehmensrechtspaket

Die Kommission legte 2017 ein umfangreiches Paket zur Überarbeitung des Unternehmensrechts vor. Dieses erleichtert es vor allem Unternehmen, grenzüberschreitende Veränderungen (Verschmelzungen, Umwandungen, Spaltungen) vorzunehmen. In der Realität spielen für Konzerne dabei oftmals steuer- oder sozialversicherungsrechtliche Vorteile eine ausschlaggebende Rolle.

In den Verhandlungen machte sich das Europäische Parlament dafür stark, dass die Mitwirkungsrechte der Beschäftigten bei Restrukturierungen gewahrt werden. Außerdem könnten nun Gesetzeslücken geschlossen werden, um den Wildwuchs von Briefkastenfirmen zu bekämpfen: Mitgliedsstaaten sollen zukünftig den Wegzug eines Unternehmens verbieten können, wenn dieser missbräuchlich ist und nationale Gesetze umgangen werden.

Schutz vor krebserregenden Stoffen am Arbeitsplatz

Bereits 2004 wurde eine Richtlinie über Karzinogene und Mutagene verabschiedet, um arbeitsbedingte Krebserkrankungen zu bekämpfen. Während der letzten EU-Legislaturperiode wurde die Liste dieser Stoffe ausgeweitet. Millionen von ArbeitnehmerInnen in der EU profitieren von diesen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz, um das Krebsrisiko zu senken.

Auftrag für die nächste Legislaturperiode

Seit 2014 gab es durchaus Bewegung in der EU zum Vorteil der Beschäftigten. All diese Maßnahmen sind aber nur erste Schritte, die noch nachgebessert werden müssen. So fordern die Gewerkschaften, dass die 20 Prinzipien der Europäischen Säule sozialer Rechte verbindlich umgesetzt werden müssen. Auch bei der Richtlinie für transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen braucht es zusätzliche Maßnahmen, um prekäre Arbeit und insbesondere Nullstunden-Verträge effektiv zu bekämpfen. Die Europäische Arbeitsbehörde wiederum müsste mit mehr Kompetenzen ausgestattet werden, um Strafen tatsächlich grenzüberschreitend einzuholen.