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Eurofound Studie: Entwicklung gesetzlicher Mindestlöhne in der EU

In 21 der 27 EU-Mitgliedstaaten gibt es gesetzliche Mindestlöhne. Der regelmäßige Prozess zur Anpassung dieser Lohnuntergrenzen funktioniert unterschiedlich, etwa durch tripartite Konsultationen, Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern, Empfehlungen von ExpertInnenausschüssen, oder einseitige Entscheidungen der Regierungen. Die Erhöhungen der gesetzlichen Mindestlöhne für 2022 wurden im letzten Jahr während Corona-Pandemie und bereits steigender Inflation vorgenommen. Alle EU-Staaten mit gesetzlichen Lohnuntergrenzen (abgesehen von Lettland) haben zwar Erhöhungen des Mindestlohnes festgelegt, diese können jedoch mit der grassierenden Inflationsentwicklung nicht Schritt halten.

MindestlohnbezieherInnen besonders von Corona-Pandemie betroffen

Es gibt bis dato nur wenige Untersuchungen, aber alle bisherigen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass MindestlohnbezieherInnen von der Pandemie besonders stark betroffen sind. Vor allem, weil Branchen und Unternehmen mit einem größeren Anteil an Niedriglohnbeschäftigten stärker von Lockdowns und anderen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus betroffen waren.

Deutschland erhöht gesetzlichen Mindestlohn am stärksten, Spanien reduziert Lohnungleichheit am meisten

Im Jahr 2022 wird Deutschland die größte Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns innerhalb der EU vornehmen: Die Lohnuntergrenze wird im Juli von 9,82 Euro auf 10,45 Euro pro Stunde ansteigen. Der Deutsche Bundestag beschloss im Juni darüber hinaus eine weitere einmalige Erhöhung auf 12 Euro pro Stunde ab Oktober 2022.

Eine Untersuchung über die Auswirkungen der Erhöhung des Mindestlohns in Spanien um 22 % im Jahr 2019 ergab, dass das Land folglich die größte Verringerung der Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen unter den EU-Mitgliedstaaten verzeichnete. Dies ist wahrscheinlich eine Folge der Lohnsteigerungen, die dem relativ hohen Niveau der Lohnungleichheit in Spanien entgegenwirkte.

Trotz nominalen Anstiegen werden Lohnerhöhungen durch hohe Inflation aufgefressen

Im Jahr 2021 sind die gesetzlichen Mindestlöhne in den meisten Mitgliedstaaten nominal stärker angestiegen als im Vorjahreszeitraum. In fünf mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten lag der prozentuelle Anstieg der Lohnuntergrenzen im zweistelligen Bereich: Ungarn (+19,5 %) sowie Litauen, Estland, Rumänien und Kroatien (alle mehr als +10%). In den „älteren“ EU-Mitgliedstaaten fielen die Steigerungen der Mindestlöhne insgesamt bescheidener aus: die stärksten Erhöhungen erreichten 4-6 % in Portugal, Spanien und Belgien.

Das Bild, das sich durch höhere Lohnuntergrenzen ergibt, ändert sich jedoch, sobald die steigende Inflation berücksichtigt wird: In mehr als 2/3 der Mitgliedstaaten mit gesetzlichen Mindestlöhnen sind die realen Lohnuntergrenzen 2021 gesunken und nur in sechs Ländern (Ungarn, Kroatien, Rumänien, Portugal, Litauen und Estland) angestiegen. Länder mit automatisch an die Inflation angepassten Indexierungsmechanismen - insbesondere Belgien, Frankreich und Luxemburg - haben die Mindestlöhne schneller an die Inflation angepasst.

Mindestlohngesetzgebung wird Teuerungsentwicklung in Hälfte der EU-Länder nicht gerecht

Setzen sich die gegenwärtigen Inflationstrends fort, werden die gesetzlichen Mindestlöhne im Jahr 2022 in keinem EU-Land real steigen. Diese Entwicklung wird erhebliche Verluste bei der Kaufkraft der MindestlohnempfängerInnen mit sich bringen. Es sei denn, zusätzliche Aufstockungen der Lohnuntergrenzen oder andere Unterstützungsmaßnahmen für Geringverdienende folgen.

Ausgehend von den Mindestlohngesetzen zeigt sich, dass derzeit nur etwa die Hälfte der Länder mit gesetzlichen Mindestlöhnen die Steigerung der Lebenshaltungskosten bei der Festlegung der Lohnuntergrenzen berücksichtigt. Angesichts der aktuell beispiellosen Inflation ist daher zu prüfen, inwieweit die Systeme und Praktiken zur Festsetzung von gesetzlichen Mindestlöhnen an die aktuellen Umstände angepasst werden müssen. Die EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne könnte der entsprechende Hebel dafür in den nächsten Jahren sein.

Ausverhandelte EU-Richtlinie zu angemessenen Mindestlöhnen findet Berücksichtigung

Die bereits ausverhandelte aber noch nicht umgesetzte EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne wirkt sich zwar noch nicht direkt auf die Festsetzung nationaler Lohnuntergrenzen aus, doch gibt es in einigen Mitgliedstaaten bereits Anzeichen dafür, dass der Inhalt des Rechtsaktes Berücksichtigung findet. Die entsprechenden AkteurInnen in einigen Mitgliedstaaten beginnen mit der Vorbereitung möglicher Änderungen ihres Systems bzw. der Kriterien zur Festlegung von Lohnuntergrenzen.

Hier geht’s zur gesamten Studie.