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Eurofound-Studie: Entwicklung nationaler Mindestlöhne in Europa

Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) hat ihren jährlichen Bericht über die Entwicklung der nationalen Mindestlöhne in Europa veröffentlicht. Dabei wird deutlich, dass europaweit grundsätzlich ein Aufwärtstrend zu verzeichnen ist. Dennoch liegen die Mindestlöhne in den meisten EU-Staaten nach wie vor unter 60% des Medianeinkommens (mittleres Einkommen) bzw. unter 50% des Durchschnittslohnes des jeweiligen Landes.

Aufwärtstrend bei den Mindestlöhnen trotz niedrigem Ausgangsniveau

In 22 der insgesamt 27 EU-Mitgliedstaaten sind gesetzliche Mindestlöhne festgelegt. Diese wurden 2020 in nahezu allen EU-Ländern erhöht. Zahlreiche Staaten diskutieren bereits eine weitere substanzielle Anhebung ihrer Mindestlöhne nach 2020. Diese Erhöhungen finden teilweise in Bezug auf den prozentuellen Anteil am Durchschnitts- oder Medianlohn statt, teilweise aber auch in absoluten Zahlen.

Im Vergleich zu den Medianlöhnen sind die Mindestlöhne in den EU-Staaten durchschnittlich zwischen 2000 und 2018 sogar um 7% höher angestiegen. Ausnahmen waren lediglich Belgien, Irland und die Niederlande, wo die Mindestlöhne in diesem Zeitraum hinter dem Anstieg der Medianlöhne zurückblieben.

Einige Regierungen (wie in Polen, der Slowakei und in Spanien) erwägen Pläne zur Anhebung der gesetzlichen Mindestlöhne auf 60% des Median- oder 50% des Durchschnittslohns. Das Vereinigte Königreich hat dieses Ziel bereits erreicht und beabsichtigt, den Mindestlohn weiter anzuheben. Trotz dieses Aufwärtstrends liegen die Mindestlöhne aktuell in den meisten EU-Ländern nach wie vor unter 60% des Median- bzw. unter 50% des Durchschnittslohns. Dies gilt insbesondere für die mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten, die zu Beginn des Jahrtausends von einem sehr schwachen Lohnniveau starteten und nach wie vor sehr niedrige Zielvorgaben festgelegt haben. Dennoch gilt es festzuhalten, dass vor allem in diesen Ländern die Mindestlöhne in den letzten Jahren teilweise erheblich angestiegen sind (z.B.: Polen +17%, Slowakei +12%, Tschechien +11%).

Zu niedrige Mindestlöhne reichen oft nicht aus, um über die Runden zu kommen

Im europäischen Durchschnitt berichten 7 von 10 MindestlohnbezieherInnen von Schwierigkeiten, mit ihrem Einkommen über die Runden zu kommen. Im Vergleich dazu geben weniger als fünf von zehn Beschäftigten an, die über dem Mindestlohn bezahlt werden, davon betroffen zu sein. Diese Zahlen sind allerdings von Land zu Land sehr unterschiedlich. Beispielsweise in Dänemark, Finnland, Deutschland oder Schweden geben weniger als 10% der MindestlohnbezieherInnen, an, dass es für sie schwierig oder sehr schwierig sei, über die Runden zu kommen. Hingegen geben in Bulgarien, Kroatien und Zypern zwischen 50% und 60% an, dass sie von ihrem Mindestlohn kein Auskommen finden. In Griechenland geben sogar 80% der MindestlohnbezieherInnen an, dass sie mit ihrem Lohn nicht über die Runden kommen.

Die Ergebnisse des Berichts deuten außerdem darauf hin, dass ausschließlich prozentuelle Erhöhungen des Niveaus der Mindestlöhne innerhalb eines Landes allein möglicherweise nicht ausreichen werden, um den Beschäftigten ein Einkommen zum Auskommen zu ermöglichen. Es kommt nämlich vor allem auch auf die absolute Höhe der jeweiligen Mindestlöhne an. 

Europaweite Stärkung kollektivvertraglicher Lohnfindungssysteme

Die EU sowie ihre Mitgliedstaaten müssen jedenfalls Initiativen ergreifen, um europäische und nationale Maßnahmen zu unterbinden, die darauf abzielen, den sozialen Dialog zu schwächen. Im Umkehrschluss bedarf es Initiativen auf europäischer und nationaler Ebene, die auf einen Ausbau und eine Stärkung sektorale kollektivvertraglicher Verhandlungssysteme abzielen. Dies muss im Sinne einer solidarischen Lohnpolitik stattfinden, die sich an der gesamtwirtschaftlichen Produktivität sowie an der Inflation orientiert. Diese Grundsätze müssen sich auch in der von der EU-Kommission geplanten Initiative für einen europäischen Mindestlohn wiederfinden. Denn nur wenn die jeweiligen nationalen Median- und Durchschnittslöhne ausreichend hoch sind, kann auch der daran bemessene nationale Mindestlohn den Beschäftigten ein Einkommen zum Auskommen ermöglichen.