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Stuart Appelbaum: US-amerikanischer Gewerkschaftspräsident zu Gast in Wien

Stuart Appelbaum ist Präsident der US-amerikanischen Gewerkschaft für Einzel-, Großhandel und Kaufhäuser (RWDSU) sowie Präsident des Bereiches Einzelhandel im weltweiten Gewerkschaftsdachverband UNI Global Union. Er war von 7. bis 12. November zu Gast in Wien und hat sich neben einigen Diskussionsveranstaltungen und Interviews auch mit den KollegInnen des Wirtschaftsbereiches Handel in der GPA-djp ausgetauscht. Dabei wies er auf die schlechten Arbeitsbedingungen in den USA hin und gab Einblicke in die besonders prekäre Situation der Angestellten im Handelssektor.

Kaum sozialversicherungsrechtliche Absicherung und niedriger Mindestlohn

Eine sozialversicherungsrechtliche Absicherung für Beschäftigte gegen Arbeitslosigkeit, Krankheit sowie für die Altersvorsorge, wie wir sie in Österreich kennen, gibt es in den USA in vergleichbarer Form nicht. ArbeitnehmerInnen sind aufgrund der geringen oder gar nicht vorhandenen staatlichen Leistungen gezwungen, sich privat zusätzlich zu versichern. Um dies finanzieren zu können sind die Beschäftigten meistens auf mehrere Jobs gleichzeitig angewiesen. Eine gesetzliche Regelung zur Gehaltsfortzahlung während eines Krankenstandes oder Urlaubs, wie sie für uns selbstverständlich ist, gibt es ebenfalls nicht. Der staatliche Mindestlohn in den USA liegt derzeit bei 7,50 US-Dollar (ca. 6,8 Euro) pro Stunde, die Gewerkschaften fordern hingegen mindestens 15 US-Dollar. Stuart Appelbaum betont jedoch, dass die prekäre Situation von Beschäftigten gar nicht so sehr von zu geringen Löhnen bedingt sei, sondern in erster Linie aus zu wenig Stunden aufgrund von Teilzeitbeschäftigung resultiert.

Walmart: Besonders prekäre Arbeitsbedingungen im Einzelhandel

Besonders betroffen von prekären Arbeitsbedingungen sind die Einzelhandelsbeschäftigten der US-amerikanischen Walmart Kette. Die Unternehmensstrategie sieht vor, MitarbeiterInnen ausschließlich halbtags bzw. geringfügig anzustellen. Dies hat zur Folge, dass die Beschäftigten keinen Zugang zur Krankenversicherung haben und auf mindestens einen weiteren Job angewiesen sind. Walmart erwartet von seinen Angestellten jedoch absolute Flexibilität und ständige Abrufbereitschaft. Geregelte Arbeitszeiten und mit anderen Jobs oder dem Familienleben vereinbare Dienstpläne gibt es nicht. Die Beschäftigten erfahren oft erst kurzfristig, beispielsweise aufgrund veränderter Wetterbedingungen, ob sie am nächsten Tag zur Arbeit kommen müssen oder nicht.

Das Unternehmen gibt darüber hinaus einseitig die wöchentliche Arbeitszeit, die bei einer Halbtagsanstellung zwischen 12 und 20 Stunden variieren kann, vor und bezahlt auch nur die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden. Neben der ständigen Verfügbarkeit sind die Beschäftigten also auch mit einer unvorhersehbaren Einkommenssituation konfrontiert. Das geht so weit, dass Walmart seinen Beschäftigten bei der Einstellung bereits ein Formular zur Beantragung von Sozialhilfe überreicht, weil das Unternehmen selbst weiß, dass sie von diesem Job nicht leben können.

Schwache Gewerkschaften gewinnen wieder an Boden

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den USA liegt derzeit bei rund 10% und ist in den letzten Jahrzenten deutlich zurückgegangen. Dies ist auch der Schwächung der Gewerkschaftsbewegung durch politische Angriffe, wie die Möglichkeit zur Kündigung von MitarbeiterInnen bei Streiks, geschuldet.

Stuart Appelbaum verspürt in jüngster Vergangenheit jedoch vermehrt wieder eine Bereitschaft unter vielen Beschäftigten, Betriebsgewerkschaften ins Leben zu rufen. In den letzten Jahren ist es denn Gewerkschaften vermehrt gelungen Arbeitskämpfe zu organisieren. Bei General Motors hat man es beispielsweise durch einen Streik von mehr als 15 000 Beschäftigten geschafft, die geforderte Lohnerhöhung durchzusetzen. Stuart Appelbaum beschreibt die Entwicklungen der letzten Jahre folgendermaßen: „Die Beschäftigten erkennen immer mehr, dass wir nur mit kollektiven Antworten gegen die immer prekärer werdenden Arbeitsbedingungen vorgehen können.“ 

Trump streut Beschäftigten mit rassistischen Kampagnen Sand in die Augen

Trotz der aktuell wirtschaftlich guten Lage in den USA sind die Löhne nach wie vor zu niedrig und die Arbeitsbedingungen schlecht. US-Präsident Trump nutzt den Ärger vieler Beschäftigter darüber für seine politischen Hetzkampagnen. Anstatt die prekären Arbeitsverhältnisse durch gesetzliche Mindeststandards und eine umfangreichere soziale Absicherung zu verbessern, macht er die ohnehin unter besonders miserablen Anstellungsverhältnissen leidenden MigrantInnen für die Lage verantwortlich. Er beschuldigt diese, durch Lohndumping bestehende Arbeitsplätze unter Druck zu bringen und damit für prekäre Anstellungsverhältnisse verantwortlich zu sein. Dies befeuert lediglich fremdenfeindliche Tendenzen im ganzen Land, ändert aber nichts an den prekären Beschäftigungsverhältnissen.

Trump selbst hat während seiner Amtszeit die Schwächung der Sozialsysteme vorangetrieben, beispielsweise durch die teilweise Abschaffung der staatlichen Krankenversicherung. Zudem hat er den Überstundenentgelt, der unter Obama ausgebaut worden war, gestrichen.