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Pflegebeschäftigte gehen erneut auf die Straße

Völlige Überlastung des Personals – Versorgungsengpass droht

„Die Diagnose liegt längst vor, allerdings fehlt seit Jahren eine adäquate Behandlung“, sind sich Gewerkschafts- und Belegschaftsvertreter:innen in Bezug auf die Pflege einig. Die Gewerkschaften GPA und vida Tirol riefen am „Tag der Pflege“ erneut zum Protestzug durch die Innsbrucker Innenstadt auf, um auf die Misere aufmerksam zu machen. Gefordert werden unter anderem eine bessere Umsetzung der Pflegereform, einen Pflegezuschuss für alle in der Branche Beschäftigten, eine Entlastungswoche sowie eine Nachbesserung beim Pflegeschlüssel.

„Wir sind mit unseren Kräften am Ende. Kräftezehrende Dienste, ständiges Einspringen, eine psychisch und physisch enorm herausfordernde Tätigkeit und vor allem keine Aussicht auf Besserung – viele Kolleg:innen können schon lange nicht mehr!“, bringt Margit Luxner, Wirtschaftsbereichsvorsitzende für Gesundheit/Soziales in der GPA Tirol und Betriebsratsvorsitzende des Altenwohnheims Kitzbühel, die aktuelle Lage im Pflegebereich auf den Punkt. Die Mitarbeiter:innen lieben ihre Tätigkeit und zeigen Verantwortungsgefühl gegenüber den zu Pflegenden – allerdings wie lange noch? „Die Aussichten im Pflegebereich sind düster. Berechnungen zufolge benötigen wir bis zum Jahr 2030 österreichweit 75.000 neue Pflegekräfte und dabei gelingt es uns nicht einmal, bestehendes Personal zu halten. Wenn das so weitergeht, droht uns ein Versorgungskollaps!“, warnt Luxner. Aktuell arbeiten rund 147.000 Menschen in Österreich in der Pflege, knapp ein Drittel von ihnen ist älter als 50 Jahre.

Entlastungswoche und Pflegebonus stoßen viele vor den Kopf

ÖGB-Landesfrauenvorsitzende und Betriebsratsvorsitzende der Lebenshilfe Tirol Sonja Föger-Kalchschmied sieht deutliche Versäumnisse auf Bundesebene: „Ob die Richtlinien für die Auszahlung des Pflegebonus oder die Entlastungswoche – diese Maßnahmen sind gut gemeint aber schlecht gemacht und sorgen aktuell für starken Unmut anstatt Entlastung.“ Vor allem die Ungleichbehandlung innerhalb der Belegschaften berge nach wie vor großes Konfliktpotenzial, so Föger-Kalchschmied: „Viele Beschäftigte, die die gleiche Tätigkeit wie ihre Kolleg:innen ausüben, sind von der Bonuszahlung ausgeschlossen, obwohl sie nicht minder hart arbeiten. Die Bundesregierung muss ihre fehlerhafte Vorgabe endlich ändern und allen Pflegebeschäftigten den Pflegebonus zugestehen.“ Das gleiche gelte für die Entlastungswoche, die Arbeitnehmer:innen in der Pflegeassistenz, der Pflegefachassistenz und im gehobenen Dienst ab dem 43. Lebensjahr zustehen sollte. „Auch da wurden plötzlich bestehende Zusatzurlaubstage gegen gerechnet und unterm Strich bleibt für viele keine Verbesserung“, so die Gewerkschafterin.

Kritik an Pflegereform

„Mehr Geld, mehr Personal, mehr Freizeit“, fasst Emanuel Straka, Landessekretär der Gewerkschaft vida, die Gewerkschaftsforderungen zusammen. „Die Arbeitsverdichtung steigt zunehmend, da darf die Politik nicht länger tatenlos zusehen. Die Überarbeitung des Pflegeschlüssels, auch stabile Dienstpläne und verbindliche Mindestkriterien für die Personaleinsatzplanung sind dringend notwendig. Die Pflegereform ist leider dahingehend völlig unzureichend und schlecht umgesetzt!“, so Straka. Der Personalschlüssel sei einer der wichtigsten Hebel, um Schritte nach vorne zu machen. Das ständige Einspringen-Müssen wegen Personalmangels führe dazu, dass auch viele aktuelle Pflegekräfte über einen Ausstieg nachdenken. Auch die Kapazitäten der mobilen Dienste sowie der Langzeit- und Tagesbetreuung müssen ausgebaut werden. „Für den dringend benötigten Ausbau von professioneller Betreuung und Pflege, insbesondere im mobilen Bereich, fehlt im Maßnahmenpaket der Bundesregierung jede Initiative. Wir wissen, dass hier im Endeffekt nur eine Umschichtung der Gelder stattfindet, da der Personalmangel in den Pflegeheimen oft dazu führt, dass Pflegbedürftige länger als notwendig im Krankenhaus bleiben. Wir haben genug von kosmetischen Korrekturen – wenn wir keinen Versorgungsengpass erleben wollen, muss schnellstens gehandelt werden!“.

Faire Bezahlung während Ausbildung

Um wieder mehr junge Menschen für den Pflegeberuf gewinnen und begeistern zu können, muss auch im Bereich der Ausbildung dringend nachgeschärft werden. Die Gewerkschaft GPA Tirol fordert daher eine Bezahlung für Auszubildende in der Pflege analog zu jener von Polizeischüler:innen in Höhe von über 2.000 Euro brutto und eine Anstellung während der Ausbildung. „Unser jahrelanger Druck hat sich schon zum Teil ausgezahlt, es gibt bereits zumindest kleine Verbesserungen. So konnten wir mit der Abschaffung des Schulgeldes an der SOB und den Studiengebühren an der fhg kleinere Verbesserungen erreichen, trotzdem wird das nicht ausreichen. Junge Menschen in Ausbildung benötigen ein existenzsicherndes Einkommen. Pflege muss der Politik endlich etwas wert sein!“, argumentiert Harald Schweighofer, Geschäftsführer der Gewerkschaft GPA Tirol. Die Finanzierung soll über die von der Gewerkschaft GPA und einigen Parteien geforderte Millionärsbesteuerung erfolgen.

Kilometergeld anheben für mobile Pflege

Vor allem für den Bereich der Mobilen Pflege sei eine Anhebung des amtlichen Kilometergeldes auf 60 Cent alternativlos, so Ralf Wiestner, stellvertretender Geschäftsführer der Gewerkschaft GPA Tirol: „Während die Spritpreise nach wie vor auf Rekordniveau sind, wurde das amtliche Kilometergeld zuletzt 2008 erhöht. Im selben Zeitraum stieg der Verbraucherpreisindex übrigens um 41,5% an. Eine Anpassung ist längst überfällig. Es kann nicht sein, dass sich viele die Ausübung ihres Berufs nicht mehr leisten können und die Arbeit de facto ein Minusgeschäft ist!“. Viele Beschäftigte der Mobilen Dienste sind auf den eigenen PKW angewiesen, um die zu pflegende oder zu betreuende Person zu erreichen. Vor allem im ländlichen Bereich gibt es aus Zeit- und Ressourcengründen schlichtweg keine Alternative zur Benutzung des eigenen Fahrzeugs. Der jährliche Verlust für die Beschäftigten beträgt Berechnungen der Gewerkschaft GPA zu Folge pro Jahr über 500 Euro.