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Kommunikation unter den Beschäftigten als Basis für kollektive Aktion
Die Basis erfolgreicher Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit zur Durchsetzung unserer Interessen als Lohnabhängige ist ein lebendiger, offener Austausch der Kolleg:innen selbst über alles, was ihre Arbeits- und Lebensbedingungen betrifft. Solidarität, Verständnis und Empathie sind die Voraussetzungen eines solchen Austausches. Sonst kann es zu Konflikten zwischen den Interessen einzelner Berufsgruppen oder Abteilungen mit denen der gesamten Belegschaft kommen. Es gilt also unterschiedliche Anliegen einzelner Teile der Belegschaft so zu respektieren, dass dabei der Blick auf die gemeinsamen Interessen aller Beschäftigten nicht verstellt wird und gleichzeitig solidarisch mit jenen Anliegen zu sein, die eine:n selbst nicht betreffen.
Eine besondere Herausforderung in diesem Zusammenhang ist die Überwindung der gesellschaftlichen Spaltungstendenzen entlang nationaler Linien, zwischen den Geschlechtern oder unterschiedlichen sexuellen Orientierungen oder auch zwischen Arbeiter:innen im sozialversicherungsrechtlichen Sinn und Angestellten. Schließlich eint uns alle eine große Gemeinsamkeit: Wir müssen arbeiten, um leben zu können. Wir können nicht von den Milliarden, die wir geerbt haben, im Luxus planschen. Daher müssen die gemeinsamen Interessen im Vordergrund stehen, was nur möglich ist, wenn diese gesellschaftlichen Spaltungen ebenso wie strukturelle Benachteiligungen im Betrieb oder der Branche (z.B. Verwaltung versus Arbeit mit Klient:innen) aufgedeckt, reflektiert und überwunden werden, damit diese nicht mehr dazu eingesetzt werden können, uns gegeneinander auszuspielen bzw. uns gegeneinander ausspielen zu lassen.
Einen Rahmen für die belegschaftsinterne Kommunikation bieten Pausengespräche, Betriebsfeiern und Betriebsausflüge, die Einrichtung von Betriebsgruppen sowie Betriebsversammlungen.
Ein zentrales Instrument von und für uns Lohnabhängige ist unser Recht (und Pflicht), einen Betriebsrat zu gründen, der auf Basis des Arbeitsverfassungsgesetzes die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der Kolleg:innen gegenüber dem Betrieb wahrnimmt. >>> Mehr dazu HIER.
Der Betriebsrat als demokratisch legitimierte Körperschaft hat auch die Aufgabe, die Kommunikation mit und innerhalb der Belegschaft zu fördern und zu gestalten. Dabei kommt den halbjährlich verpflichtend bzw. darüber hinaus im Anlassfall einzuberufenden Betriebsversammlungen besondere Bedeutung zu.
Die Betriebsversammlung ist sowohl der Ort der gegenseitigen Information und Diskussion, als auch der Rahmen für die gemeinsame Meinungs- und Willensbildung, die in Beschlüsse über bestimmte Maßnahmen – zB die Einrichtung eines Betriebsratsfonds, die Aufnahme von Verhandlungen mit der Firma über eine Betriebsvereinbarung oder auch die Verabschiedung von Resolutionen oder Aktionen bis hin zum Streik usw. münden kann.
Vor allem aber braucht es einen aktiven Betriebsrat – und damit ist nicht eine Einzelperson gemeint, sondern immer das gesamte Gremium. Ein solches wird niemals nur FÜR, sondern immer MIT der Belegschaft agieren, wenn es demokratisch agieren und durchsetzen will, was die Belegschaft wirklich braucht und will. Mit Fug und Recht haben viele Kolleg:innen die Stellvertreter:innenpolitik satt, die ihnen vorgaukelt, in ihrem Interesse zu handeln und dieses dabei oftmals mit Füßen tritt. Daher ist es notwendig, dass das Exekutivorgan Betriebsrat gemeinsam mit der Belegschaft handelt, nicht aber versucht, paternalistisch alles für die Kolleg:innen zu ‚richten‘.
Ganz bewusst muss den KollegInnen vermittelt werden, dass der beste Betriebsrat der Welt ohne Unterstützung, ohne Rückhalt alleine gar nichts erreichen kann. Dieser ist schließlich das gewählte Exekutivorgan der Belegschaft. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Belegschaft selbst muss handeln, denn nur sie kann in Konfliktsituationen wirklich etwas erreichen, in offener politischer Aktion, nicht aber beim Hinterzimmergemauschel.
Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass der Betriebsrat nicht versuchen sollte, in kontinuierlichen Gesprächen mit der Geschäftsführung etwas zu erreichen. Insofern brauchen die Beschäftigten einen aktiven Betriebsrat, und der Betriebsrat aktive Beschäftigte!
BEISPIEL 1: Die Betriebsgruppe
Eine gute Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der laufenden politischen Diskussion ist die (gewerkschaftliche) Betriebsgruppe. Als Gewerkschaftsstruktur ist diese in den Statuten sowohl des ÖGB als auch der Gewerkschaft GPA vorgesehen. Gleichzeitig dient diese aber v.a. dem kontinuierlichen Meinungsaustausch aller aktiven Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb und kann auch die Funktion wahrnehmen, alle Kolleg:innen laufend über aktuelle Probleme, Diskussionen und Aktivitäten zu informieren.
Sie ist also die Basis für eine kontinuierliche Diskussionen im Betrieb. In den Statuten unserer Gewerkschaft GPA heißt es dazu unter „§ 24 Die gewerkschaftliche Betriebsgruppe
- In einem Betrieb, in dem mindestens fünf GPA- Mitglieder sind, ist eine Betriebsgruppe zu bilden. Die Leitung der Betriebsgruppe obliegt den gewerkschaftlich organisierten Mitgliedern des Betriebsrates, in der Regel der/dem gewerkschaftlich organisierten Betriebsratsvorsitzenden bzw. deren/dessen gewerkschaftlich organisierten StellvertreterIn. Die Betriebsratsmitglieder, die die Betriebsgruppe führen, sind FunktionärInnen der GPA und daher an die Beschlüsse der Organe der GPA gebunden.
- Wenn es keinen Betriebsrat gibt, wählen die Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb eine/n SprecheIn und ein/e StellvertreterIn. Diese leiten und vertreten die Betriebsgruppe.
- Aufgabe der Betriebsgruppe:
a. die Werbung von Mitgliedern zur GPA,
b. die Unterstützung der Kommunikation zwischen der GPA und den Mitgliedern,
c. die Antragstellung an die Landeskonferenz des Wirtschaftsbereiches.“
In der Sucht- und Drogenkoordination Wien zB wurde eine solche Betriebsgruppe ins Leben gerufen, als der Betrieb aus dem Fonds Soziales Wien ausgegliedert und in eine eigenständige GmbH mit neuem Besitzer umgewandelt wurde. Da es sich für viele der betroffenen KollegInnen um die dritte Ausgliederungswelle innerhalb von sechs Jahren handelte, herrschte ein hohes Maß an Unsicherheit. Mehrere Kolleg:innen außerhalb des Betriebsrates haben daraufhin ihr Interesse bekundet, sich kontinuierlich einzubringen und aktiv an betrieblichen Maßnahmen mitzuwirken.
Seither gibt es monatliche Sitzungen der gewerkschaftlichen Betriebsgruppe. In diesen werden aktuelle Fragen aus Betrieb (zB Verhandlungen zu Betriebsvereinbarungen, die Situation in den Abteilungen, betriebliche Aktionen, Themen und Ergebnisse von Betriebsversammlungen) und Gewerkschaft (Kollektivvertragsverhandlungen, Aktionswochen, Kampagnen, ...) diskutiert.
Auf dieser Basis wird auch darüber entschieden, ob und wie sich die Aktivist:innen der Betriebsgruppe an allfälligen Aktivitäten beteiligen. In zahlreichen Sitzungen wurden außerdem Diskussionen zu allgemeinen politischen Fragen (zB Weltlage, Wirtschaftskrise usw.) auf Grundlage eines Inputs von einem oder einer der Teilnehmer:innen abgehalten, welche das allgemeinpolitische Verständnis vertieften.
Da die Teilnahme an der Betriebsgruppe auch Kolleg:innen offen steht, die noch nicht Gewerkschaftsmitglied sind, ist es dadurch auch gelungen, manche Beschäftigte von einer Mitgliedschaft zu überzeugen, da sie „die Gewerkschaft“ dadurch hautnah erleben konnten. Kein Wunder also, dass diese Wiederbelebung einer uralten gewerkschaftlichen Tradition dazu geführt hat, dass dieser Betrieb den – von allen größeren Betrieben – höchsten gewerkschaftlichen Organisationsgrad im Wiener Sozial- und Gesundheitsbereich hat.
Die Betriebsgruppe ist aber auch so etwas wie ein Think Tank für den Betriebsrat, da selbstverständlich auch Betriebsratsmitglieder an deren Sitzungen teilnehmen. So konnten diese im Verlauf der Jahre immer wieder neue Ideen aus den Sitzungen mitnehmen.
Viele Teilnehmer:innen an den Sitzungen der Betriebsgruppe haben im Laufe der Zeit ihr politisches Engagement erweitert und sind zB (Ersatz)Betriebsrät:innen geworden, haben gewerkschaftliche Funktionen übernommen oder die von Betriebsversammlungen eingesetzten Arbeitsgruppen (zB zur Durchführung innerbetrieblicher Aktionen oder auch Streikkomitees) wesentlich mitgetragen. Dazu zählt zB die Button-Kampagne „Eine Belegschaft fordert ihre Rechte!“, welche auf politischer Ebene und auch in der Geschäftsführung viel Resonanz erzeugt hat. In deren Rahmen konnte durch das öffentliche Tragen eines Buttons mit diesem Slogan in der Arbeit zB in Krankenhäusern und öffentlichen Aktionen wie zB am 1. Mai so viel Druck aufgebaut werden, dass eine zuvor jegliches Gespräch verweigernde Geschäftsführung plötzlich doch dazu bereit war, dem Betriebsrat sein Recht auf regelmäßige Beratungen einzuräumen.
Mit der Zeit sind immer mehr Teilnehmer:innen auch zu Aktivist:innen geworden, auf die sich der Betriebsrat immer verlassen kann, die in Diskussionen auf Betriebsversammlungen eine vorwärtstreibende Rolle spielen oder auch den Betriebsratsmitgliedern permanent zum Gedankenaustausch bei schwierigen Fragen zur Verfügung stehen. Sie sind immer und überall Teil der Diskussionen in der Belegschaft und kommunizieren deren Anliegen weiter (ebenso wie die Anliegen der Gewerkschaft in die Belegschaft) und sind ein Stück weit jene, die Diskussionen vom Zaun brechen und in ihren Abteilungen, die „Klappe am weitesten offen haben“.
Klar sein muss aber, dass Betriebsgruppen nicht von heute auf morgen entstehen und gut funktionieren. Damit es so weit kommt, braucht es viel geduldige Arbeit, viele Diskussionen, Kolleg:innen, die selbst zum Vorbild werden und letztliche einen Betriebsrat, der ganz bewusst Macht abgibt und idealerweise mit dem Konzept des Organizing arbeitet. Wenn diese Arbeit einmal geleistet ist, ist eine Betriebsgruppe nicht mehr wegzudenken. Sie kann leisten, was ein Betriebsrat alleine nie schaffen kann. Sie ermöglicht es, allen Kolleg:innen selbst aktiv zu werden. Sie tut, was – zumeist aus persönlichen Gründen – nicht immer alle tun können. Sie ist immer da, immer aktiv und bringt die unterschiedlichen Diskussionen in verschiedenen Teilen der Belegschaft unter einen Hut.
BEISPIEL 2: Die Umfrage
Schon lange gab es im Verein X hitzige Diskussionen über die Arbeitszeit. Immer wieder war sie Thema, wenn die Kolleg:innen sich bei internen Seminaren trafen, vor allem weil sich der Verein fast jedes Jahr neue Regelungen ‚ausdachte‘. Die Betriebsratsmitglieder erarbeiteten – nach Diskussionen auf Betriebsversammlungen und in einer Arbeitsgruppe mit Beschäftigten – ein Gegenkonzept, das die Wünsche der Kolleg:innen beinhaltete. Die erwartbare Antwort der Chefitäten lautete: „Das will doch keiner bei uns so!“
Gegen dieses Argument hilft ein wirksames Mittel: Eine Umfrage unter allen Betroffenen. An alle Standorte wurden Umfragelisten geschickt, in denen die zwei Arbeitszeitmodelle vorgestellt wurden. Die Beschäftigten selbst konnten eines ankreuzen und bestätigten ihre Auswahl auch mit ihrer Unterschrift. Dies war sinnvoll, um den Vorwurf von Mehrfachnennungen oder „Fremdabstimmungen“ gleich im Voraus zu entkräften.
Die zurückgeschickten Listen verblieben im Betriebsratsbüro. Die Auswertung wurde der Firma anonymisiert überreicht. Und siehe da: Über 98% votierten für das Konzept des Betriebsrats. Solche Umfragen, die Meinungen oder Befindlichkeiten zu den verschiedensten (auch allgemeinen) Themen abfragen, sind ein wichtiges Instrument gerade in großen Betrieben oder solchen, wo die Beschäftigten über viele Standorte verstreut sind. Und eine Umfrage kann nicht nur die Betriebsratskörperschaft initiieren – jede:r kann das tun!
BEISPIEL 3: Die Betriebsversammlung
Betriebsversammlungen sind die Basistreffen der Belegschaft – jede und jeder hat das Recht, hinzugehen und seine:ihre Meinung offen zu sagen. Doch leider verlaufen viele Betriebsversammlungen wenig abwechslungsreich und eher uninteressant, was sich dann auch auf die Teilnehmer:innenzahl auswirkt. Was spricht dagegen, diese attraktiver zu gestalten?
Unter welchen Umständen könnten Menschen mehr Verständnis, Offenheit und Identifikation für ein Thema entwickeln? Vielleicht wenn sie mit einbezogen werden? Wenn sie gar selbst entscheiden können?
Wir sind davon überzeugt, denn die Möglichkeit zur Beteiligung und Entscheidung ist entscheidend! Zugegeben – es macht zunächst mehr Mühe, nach neuen Formen der Gestaltung zu suchen. Aber es kann auch viel Spaß machen, neue Ideen auszuprobieren, um die Kolleg:innen stärker einzubeziehen.
Die Bildungsabteilung unserer Gewerkschaft GPA bietet regelmäßig die Fortbildung „Betriebsversammlung aktiv“ an, wo sich alle Betriebsrät:innen nützliche Tipps zur praktischen Ausgestaltung holen können. In der Broschüre des VÖGB findest du nützliche Tipps & Tricks, rechtliche Grundlagen, Werkzeuge, Checklisten und Methodenbausteinen, u. a.:
- wie du den Ablauf interessant gestaltest
- wie du noch mehr Einbeziehung und Beteiligung erreichst
- wie dich besonders kreative Vorgehensweisen unterstützen
- Das ABC der Versammlungsleitung, Präsentation und Moderation
Weitere Ideen:
- ein Plakat gestalten und aufhängen
- eine Betriebszeitung rausbringen
- eine Homepage und/oder einen Blog ins Netz stellen
- eine Betriebsversammlung einberufen
- E-Mail-Aktionen an Geschäftsführung
- Buttons und/oder T-Shirts mit den Forderungen tragen
- die Forderungen im Büro bzw. den Pausenräumen aufhängen oder auch als Bildschirmschoner verwenden
- Social Media nutzen
- eine Signal-Gruppe ins Leben rufen
- in den öffentlichen Raum gehen und die Menschen, die alle ein funktionierendes Sozial-, Gesundheits- und Sozialsystem wollen, auf unsere besch…eidenen Arbeitsbedingungen aufmerksam machen
Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt!