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Wo bleibt die Entlastung? Wo bleibt die Reform?

Nach großen Versprechen im letzten Mai bleibt bei vielen nur Ernüchterung

New Africa - stock.adobe.com

Entlastungwoche war das Stichwort. Als im Mai 2022 von der Bundesregierung eine angebliche Pflegereform präsentiert wurde. Neben einem Pflegezuschuss, der sich als Zuschüsschen entpuppte, das noch dazu nicht alle bekommen, war die Entlastungswoche eine große Versprechung. Groß verkünden die Minister Kocher und Rauch: „Zusätzliche Entlastungswoche für Gesundheits- und Krankenpflegeberufe ab 43 Jahren!“ Kleinlaut heißt es weiter im Text: „In manchen Kollektivverträgen war eine sechste Urlaubswoche schon bisher enthalten.“ Nicht für alle gibt es also eine zusätzliche Entlastung, denn beispielsweise im Sozialwirtschafts-Kollektivvertrag bekommt man die sechste Urlaubswoche ohnehin durch Dienstzugehörigkeit meist schon früher.

Aber nicht nur das:

Anspruchsberechtigt sind Beschäftigte, die als Pflegeassistenz, Pflegefachassistenz oder Diplomiertes Gesundheits- und Krankenpflegepersonal beschäftigt sind. Damit sind nicht nur Heimhilfen bereits von vornherein ausgeschlossen. Auch im Behindertenbereich wiederholt die Bundesregierung die Fehler, die sie bereits beim Pflegezuschuss gemacht hat: Erneut profitieren im Behindertenbereich nicht alle. Dass der Kreis der Bezugsberechtigten ein anderer ist als beim Pflegezuschuss sorgt zusätzlich für Verwirrung. Die Minister Kocher und Rauch haben erneut ein Gesetz auf den Weg gebracht, das mehr Fragen offenlässt, als es beantwortet.

Die Entlastungswoche steht dabei symptomatisch für die Politik der Bundesregierung in Pflege-Fragen. Obwohl im Mai 2022 eine große Pflegereform für Herbst desselben Jahres angekündigt worden war, kam: Wenig bis Nichts.

Wir erleben einen starken Personalmangel: In der stationären Langzeitpflege etwa stieg die Anzahl an BewohnerInnen zwischen 2014 und 2019 um fast ein Drittel, die Anzahl der Betreuungs- und Pflegekräfte (auf Vollzeitstellen gerechnet) nur um elf Prozent. Dieser Trend ist auch in den anderen Gesundheits- und Sozialberufen wahrnehmbar. Kennerinnen und Kenner der Branche verwundert das nicht: Eine von der Gewerkschaft GPA in Auftrag gegebene Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IFES im November 2021 zeigt, dass die Stimmung in der Branche schlecht ist. Nur 25 Prozent der Befragten geben an, dass es genug Personal gibt, um die Arbeit gut zu erledigen. Der Schnitt über alle Branchen liegt bei 47 Prozent. Fast zwei Drittel sagen, dass der Arbeitsdruck steigt, die Hälfte der Unternehmen werde aufgrund der angespannten Personalsituation verlassen.

Nur grundlegende Verbesserungen können das Schlimmste verhindern. Dazu braucht es das Bekenntnis, dass deutlich mehr Geld im System notwendig ist. Das Wirtschaftsforschungsinstitut geht von einer Verdopplung der gesamtstaatlichen Pflegeausgaben auf 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2060 aus, der Ageing Report der EU-Kommission spricht sogar von 3,5 Prozent des BIP. Wer die Augen vor der Tatsache verschließt, dass der Bereich langfristig unterfinanziert ist, lügt sich selbst an. Der Finanzausgleich schafft die Möglichkeit, eine echte Pflegereform einzuleiten. Mit höheren Gehältern. Mit mehr Personal. Mit einer echten Entlastungswoche für alle. Es ist möglich, den Bereich so zu attraktiveren, dass junge Menschen gerne ein Teil davon sein wollen. Aber die Zeit läuft davon. Die Regierung ist gut beraten, die Chance nicht verstreichen zu lassen.

Ab dem Kalenderjahr, in dem das 43. Lebensjahr vollendet wird, hat man Anspruch auf die Entlastungswoche. Teilzeitbeschäftigte bekommen die Entlastungswoche heruntergerechnet auf ihre Stundenanzahl. Bessere Regelungen im Kollektivvertrag (zB mehr Urlaub nach Dienstzugehörigkeit) werden auf diese Bestimmun angerechnet. Bei 6 Wochen Urlaub ist Schluss. Die Regierung gibt den Arbeitgebern drei Jahre für die Umstellung Zeit. Bis inklusive 2026 ist es möglich, die Entlastungswoche finanziell abzugelten, wenn sie nicht in Anspruch genommen werden kann.