Amazon boykottiert das EU-Parlament: Wenn Konzerne die Demokratie missachten
Zum dritten Mal verweigert Amazon die Teilnahme an einer Anhörung zu Arbeitsbedingungen im Europäischen Parlament. Gewerkschaften fordern härtere Sanktionen gegen demokratiefeindliches Verhalten multinationaler Konzerne.
Dritter Boykott in Folge: Härtere Sanktionen notwendig
Am 26. Juni [RS1] blieben die Stühle für Amazon-Vertreter:innen im Europäischen Parlament erneut leer. Zum dritten Mal seit 2021 verweigerte der Tech-Riese seine Teilnahme an einer Anhörung des Beschäftigungsausschusses zu den Arbeitsbedingungen in europäischen Amazon-Lagern. Bereits seit Februar 2024 sind Amazon-Lobbyist:innen die Zugangsausweise zum EU-Parlament entzogen – eine Sanktion, die bisher nur gegen Monsanto ausgesprochen wurde.
Systematische Verweigerung demokratischer Kontrolle…
Die Chronologie spricht eine klare Sprache: 2021 verweigerte Amazon Anhörungen und Betriebsbesuche, 2023 blieb der Konzern einer weiteren Anhörung fern, 2024 folgte der Entzug der Lobby-Ausweise. „Würde sich ein Amazon-Beschäftigter so gegenüber dem Amazon-Management verhalten, wäre er bereits dreimal gefeuert worden", bringt es Oliver Roethig, Regionalsekretär von UNI Europa, auf den Punkt.
…für Bezos eine Frage der Leistbarkeit
Diese Haltung offenbart ein grundsätzliches Problem: Während Amazon von seinen Beschäftigten hohe Disziplin unter algorithmischer Überwachung verlangt, verweigert der Konzern selbst jede demokratische Rechenschaftspflicht. Jeff Bezos' 230-Milliarden-Dollar-Vermögen und seine 500-Millionen-Dollar-Yacht stehen symbolisch für diese Machtasymmetrie. Demokratische Institutionen werden schlichtweg ignoriert, wenn sie unbequeme Fragen stellen.
Nicht zuletzt ist derartiges Verhalten möglich, weil die Strafen dafür nicht ausreichend abschreckend sind. Aus diesem Grund fordern wir finanzielle Sanktionen, die am Umsatz von Konzernen gemessen werden.
Arbeitsrealität in Amazon-Lagern: Überwachung und Einschüchterung
Warum eine Teilnahme für Amazon ungemütlich wäre, wurde bei der Anhörung deutlich. Eine polnische Gewerkschafterin berichtete über die prekäre Lohnentwicklung, wo Beschäftigte nach zehn Jahren bei Amazon nur etwa 6,42 € pro Stunde verdienen. In den deutschen Standorten werden Kolleg:innen wirksam eingeschüchtert und können sich nicht leisten, durch Kritik einen Jobverlust zu riskieren, erklärt eine Vertreterin der Gewerkschaft ver.di.
Der Arbeitsalltag bei Amazon ist geprägt von algorithmischer Überwachung, die jeden Handgriff der Beschäftigten verfolgt und bewertet. Produktivitätsziele werden kontinuierlich erhöht, während gleichzeitig systematisch gegen gewerkschaftliche Organisierung vorgegangen wird. Diese Praktiken stehen im krassen Widerspruch zu europäischen Arbeitnehmer:innenrechten und den ILO-Konventionen 87 und 98 über Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen.
Gewerkschaften fordern Offenlegung und Überprüfung der Amazon-Verträge
Die europäische Dienstleistungsgewerkschaft UNI Europa geht noch weiter und fordert die Offenlegung aller EU-Verträge mit Amazon und allen Tochterfirmen. Diese sollen auf ihre Vereinbarkeit mit EU-Vergaberecht und internationalen Arbeitsstandards überprüft werden. Verträge, die diesen Standards nicht entsprechen, müssen gekündigt werden.
Keine öffentlichen Aufträge ohne Berücksichtigung sozialer Kriterien!
Diese Forderungen sind Teil eines breiteren Ansatzes, für den sich auch die Gewerkschaft GPA stark macht, nämlich eine grundsätzliche Reform der Vergaberichtlinien. Gemeinsam mit den europäischen Gewerkschaften setzen wir uns dafür ein, dass öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben werden, die Kollektivverträge respektieren und Arbeitnehmer:innenrechte achten.
Für uns ist klar: Es darf nicht sein, dass Unternehmer:innen, die die Demokratie missachten und Beschäftige und Umwelt ausbeuten, mit unseren Steuergeldern belohnt werden.
Gewerkschaftlicher Druck wirkt
Der Fall Amazon zeigt: Ohne starke Gewerkschaften und entschlossenes politisches Handeln werden multinationale Konzerne weiterhin versuchen, sich über demokratische Institutionen und Arbeitnehmer:innenrechte hinwegzusetzen. Der Fall zeigt auch: Gewerkschaften und die Politik haben Mittel, sich gegen solches Verhalten zu wehren. Die parteiübergreifende Einigkeit im EU-Parlament signalisiert, dass die Bereitschaft, diese Mittel auch konsequent einzusetzen, steigt und sich das langjährige Engagement der Gewerkschaften lohnt.