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Belgien: Erfolgreicher landesweiter Streiktag

Rund die Hälfte der Beschäftigten in Belgien ist gewerkschaftlich organisiert. Es gibt insgesamt drei Gewerkschaftsbünde, die miteinander im Wettbewerb stehen und sich auf politische Traditionen berufen: CSC-ACV (christlich-sozial), FGTB-ABVV (sozialdemokratisch) und CGSLB-ACLVB (liberal). Obwohl der soziale Dialog in Belgien grundsätzlich gut funktioniert, haben die zwei größten Gewerkschaftsbünde FGTB-ABVV und CSC-ACV am 29. März zu einem landesweiten Streiktag aufgerufen. Hintergrund sind neben einem empörend niedrigen Angebot der Arbeitgeberverbände während der Lohnverhandlungen auch die ungleichen finanziellen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die verschiedenen Branchen, Unternehmen und deren Beschäftigte.

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Nationales Rahmenabkommen regelt Einkommens- und Arbeitsbedingungen wesentlich

Alle zwei Jahre werden in einem nationalen Rahmenabkommen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden die Kernelemente der Einkommens- und Arbeitsbedingungen festgelegt. Eine automatische Gehaltsanpassung an die jährliche Inflationsrate ist darin bereits vorgesehen. Diese Vereinbarung unterliegt jedoch einem strengen Gesetz: Die Lohnerhöhungen in Belgien sollen jenen der Nachbarstaaten entsprechen und dürfen keinesfalls umfangreicher sein. Angesichts dieser gesetzlichen Regelung sind die Gewerkschaften mit ihren Forderungen gegenüber den Arbeitgeberverbänden stark benachteiligt. Auch den darüber hinaus gehenden Verhandlungen auf Branchenebene sind dadurch enge Grenzen gesetzt.

Arbeitgeberverbände beharren auf 0,4%iger Lohnerhöhung für zwei Jahre

Die aktuellen Verhandlungen über Lohnerhöhungen und Arbeitsbedingungen auf nationaler Ebene sind bisher negativ verlaufen. Die Arbeitgeberverbände beharren auf einer maximalen Lohnerhöhung von nur 0,4% für die nächsten beiden Jahre. Für die niedrigsten Einkommen im Land würde dies lediglich 6 Euro brutto zusätzlich im Monat bedeuten. Im Austausch dafür fordern die Arbeitgeberverbände auch noch mehr Flexibilität der Beschäftigten, mehr Überstunden und finanzielle Einbußen bei der Nachtarbeit. Die Gewerkschaften zeigen sich zurecht empört über dieses Vorgehen.

AktionärInnen erhalten gleichzeitig um 19% höhere Dividende

Die Arbeitgeberverbände argumentieren ihre Verhandlungsposition mit dem wirtschaftlichen Einbruch durch die Corona-Wirtschaftskrise. Sie lassen dabei jedoch völlig außer Acht, dass einige Branchen und Unternehmen von der Corona-Krise und insbesondere vom Arbeitseinsatz ihrer Beschäftigten besonders profitiert und hohe Gewinne eingefahren haben. Die börsennotierten belgischen Unternehmen haben ihren AktionärInnen im letzten Jahr durchschnittlich sogar um 19% höhere Dividenden ausbezahlt. Darüber hinaus ist nach der Corona-Krise mit einem eklatanten wirtschaftlichen Aufschwung zu rechnen, der für die Beschäftigten aufgrund des geringen zweijährigen Abschlusses kaum Auswirkungen haben würde.

Gewerkschaften fordern höheren Lohnabschluss und Änderung gesetzlicher Einschränkungen

Die Gewerkschaftsbünde FGTB-ABVV und CSC-ACV haben daher am 29. März zu einem eintägigen branchenübergreifenden und landesweiten Streiktag aufgerufen und ihren Forderungen nachdrücklich Gehör verschafft:

  • Zweijähriger Lohnabschluss deutlich über 0,4%
  • Erhöhung des Mindestlohns (u.A. durch Solidaritätsfonds der Arbeitgeber): 14 Euro Stundenlohn oder 2.300 Euro brutto monatlich
  • Sektorale Verhandlungen ausbauen: mehr Spielraum für branchenspezifische Verbesserungen bei Arbeits- und Einkommensbedingungen
  • Änderung des Gesetzes zur Deckelung der Lohnerhöhungen

Landesweiter Streiktag war großer Erfolg für die beiden Gewerkschaftsbünde

Die Streiks und Protestaktionen am 29. März waren nicht nur bei den öffentlichen Nahverkehrsbetrieben und bei der belgischen Bahn deutlich zu spüren. Auch die Belegschaften großer privater Unternehmen wie die von Arcelor Mittal, Proximus oder Coca-Cola haben sich dem Streik angeschlossen. Zahlreiche Supermarktfilialen großer Einzelhandelsketten waren geschlossen. In großen Unternehmen wie Audi oder Volvo stand die Produktion gänzlich still. Die beiden Gewerkschaftsbünde FGTB-ABVV und CSC-ACV ziehen nach dem landesweiten Streiktag jedenfalls eine positive Bilanz. Sie sprechen von einer beeindruckenden Mobilisierung ihrer Mitglieder und fordern die Arbeitgeberseite erneut auf, ihre Verhandlungsposition zu überdenken.

Streikorganisation unter Wahrung der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung

Die auch in Belgien anhaltende Corona-Pandemie hat die Gewerkschaften bei der Streikorganisation vor zusätzliche Herausforderungen gestellt. Die Beschäftigten wurden daher aufgerufen, sich virtuell über die Social-Media-Kanäle der Gewerkschaften und von zuhause aus am Streik zu beteiligen. Stets mit dem klaren Bekenntnis, dass nur dadurch eine Weiterverbreitung des Virus verhindert werden könne. Streikposten vor den Unternehmen wurden auf vier Personen beschränkt und durften nur unter Maskenpflicht und Abstandsregeln abgehalten werden. Größere Gruppenansammlungen mit bis zu maximal 50 Personen konnten nur durchgeführt werden, wenn zuvor eine entsprechende Genehmigung der zuständigen Behörde eingeholt wurde.