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BREXIT: Britische Perspektiven und Europäische Herausforderungen

Ein Weckruf für ein Soziales Europa?

Seit Theresa Mays "Brexit-Brief" gibt es ein konkretes Datum für Großbritanniens Austritt aus der EU: Den 29. März 2019. Aus diesem Anlass organisierte die GPA-djp gemeinsam mit dem Karl-Renner-Institut und der AK Wien eine Podiumsdiskussion über die Perspektiven für Europa und das Vereinigte Königreich.

Schock, Weckruf und Chance

Zur Einleitung bezeichnete Wolfgang Greif, Leiter der Abteilung Europa, Konzerne und internationale Beziehungen in der GPA-djp, den Brexit als Schock, Weckruf und Chance für die politischen Kräfte Europas. Man müsse verhindern, dass die Briten eine Steueroase nach Vorbild Singapurs etablieren und trotzdem eine faire Lösung finden, die nicht in erster Linie die Beschäftigten treffe. Wenn jetzt "business as usual" betrieben werde, würde der Brexit nicht der einzige EU-Exit bleiben.

"Windschutzscheibe Großbritannien" zersprungen

Seit der Entscheidung zum Austritt, meinte Simon Dubbins, Direktor für Internationales und Forschung der britischen Gewerkschaft "Unite", sei Großbritannien tief gespalten. Zwar liegen die Ursachen tiefer, wie man an den gewalttätigen Ausschreitungen von 2011 sehen könne, aber das Votum war der "Kieselstein", der die "Windschutzscheibe UK" endgültig in viele kleine Stücke zersplittert habe. Das Ergebnis fiel knapp aus, aber die Unterschiede im Abstimmungsverhalten zwischen jung und alt, urban und ländlich, reich und arm, waren sehr deutlich.

Sollte es 2019 zu einem "harten" Brexit mit einem schlechten Verhandlungsergebnis oder ganz ohne Vereinbarung kommen, bestehe die Möglichkeit, dass Labour, LibDem und einzelne Tory-Abgeordnete den Brexit im Parlament ablehnen.

Schwierige Prognosen, große Herausforderungen

Eva Nowotny, ehemalige österreichische Botschafterin in London, prophezeite, dass das Vereinigte Königreich es schwer haben werde, das gewünschte Verhandlungsziel zu erreichen. Es seien rund 22.000 Rechtsakte aufzuschnüren, dieser Prozess sei vergleichbar damit, die einzelnen Eier aus einem 40 Jahre lang gebratenen Omelett wieder herauszulösen. Es werde in dieser Zeit auf jeden Fall Versuche geben, die Mitgliedsstaaten zu spalten und damit die Verhandlungsposition Europas zu schwächen.

In die gleiche Kerbe schlug Wirtschaftspublizist Kurt Bayer: Zwar sind Prognosen über die wirtschaftlichen Auswirkungen für beide Partner, ohne das Verhandlungsergebnis zu kennen, schwer zu machen. Aber 46-63% der britischen Exporte gehen in die EU oder an ihre Partnerländer - auf die nach WTO-Regeln Zollraten von 4,4% aufwärts stehen - und 40% dieser Exporte sind importierte, weiterverarbeitete Produkte. Außerdem seien bis zu 34 neue Regulierungsbehörden nötig und es müssen Handelsabkommen mit 64 Staaten geschlossen werden. Auch die britischen Banken dürfen wohl kaum auf "regulatory equivalence" hoffen, die ihnen ermöglichen würde, von London aus in Europa Geschäfte zu machen und werden "volle" Bankzweige innerhalb der Union gründen müssen. Anhand dieser Eckdaten sei es schwierig, sich vorzustellen, wie die Briten vom Austritt profitieren sollten.

Neben Austritt auch Vertiefung diskutieren

Ilia Dib, Internationale Sekretärin der SPÖ, sieht im Prozess Brexit eine mögliche Chance, die europäische Wirtschaftspolitik unabhängiger von Finanzmarktwünschen zu gestalten. Erklärtes Ziel der Sozialdemokratie sei eine europäische Sozialunion und eine gemeinsame Steuerpolitik. Zwar gebe es viel Überzeugungsarbeit zu leisten, beim Koalitionspartner angefangen, aber jetzt wäre die Chance, neben dem Thema Austritt aus der EU auch das Thema der Vertiefung zu verhandeln.

Einig waren sich alle DiskutantInnen in einem Punkt: Wenn der Brexit nicht als Anlass zum europäischen Kurswechsel genommen wird, bestehe eine reelle Gefahr, dass die Union auseinanderbreche.