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Frankreich im Aufruhr

„Gelbwesten“ setzen französische Regierung unter Druck

Seit Herbst passiert in Frankreich etwas nie Dagewesenes: Eine heterogene Bewegung hat sich – außerhalb von Gewerkschaftsstrukturen – gebildet und bringt mit ihren Protesten die französische Regierung in Bedrängnis. Die „Gelbwesten“ bezeichnen sich selbst als unpolitisch und verstärken bestehende Demonstrationen, in denen die Wut der Bevölkerung zum Ausdruck kommt.

Ursachen in der Austeritätspolitik

Die liberale Austeritätspolitik von über zehn Jahren fordert nun ihren Tribut. Im städtischen Umland und in ländlichen Regionen wurde die öffentliche Infrastruktur zurückgeschraubt: Zuglinien und -stationen wurden eingestellt, öffentliche Dienstleistungen sind mangelhaft vorhanden. Die Menschen in diesen Gegenden sind somit völlig abhängig von ihrem Auto, um zur Arbeit zu kommen, Amtswege oder Besorgungen zu erledigen. Mit der Anhebung der Benzinsteuer durch die französische Regierung sahen sich viele Menschen am Rande der Existenz. Daraus hat sich eine Bewegung geformt.

Gelbwesten

Die „Gelbwesten“, wie sie sich selbst genannt haben, bestanden zu Beginn vor allem aus Beschäftigten, Arbeitslosen, PensionistInnen und KleinunternehmerInnen. 85 % davon waren zuvor nie mit Gewerkschaften in Kontakt gekommen. Sie bezeichneten sich als unpolitisch und verfolgten keine großen politischen Ziele, sind aber eine soziale Bewegung. Von Anfang an gab es eine aktive Minderheit aus der rechten Szene, die versuchte, die Forderungen zu beeinflussen. Allerdings konnte sich deren Anti-Migrationsrhetorik bisher nicht durchsetzen, linke Parolen dominieren.

Bemerkenswert ist, dass sich der Protest nicht gegen die Unternehmen und Konzerne richtete. Die Wut der Gelbwesten adressierte in erster Linie die Regierung und insbesondere den Präsidenten Emmanuel Macron. Seit Mitte November finden samstags Demonstrationen in den Städten statt. Die Anzahl der DemonstrantInnen hat seitdem zwar abgenommen, die Gewalt ist hingegen gestiegen.

Gewalt auf beiden Seiten

Die Politik ignorierte die Forderungen der Bewegung weitgehend, von Anfang an prophezeite sie, dass die Demonstrationen „Orte der extremen Gewalt werden und Tote verursachen könnten“. Die Regierung ging keinen Weg der De-Eskalierung, sondern setzte brutale Polizeimethoden ein. Das Bild der 15-jährigen Schüler, die auf Knien mit Händen am Kopf wie Terroristen behandelt wurden, ging um die Welt. Darüber hinaus gibt es unter den DemonstrantInnen viele schwer Verletzte und dauerhaft Versehrte (ausgestochene Augen, Hände von Granatenexplosionen abgerissen sowie eine 80-jährige Pensionistin, die durch eine Polizeigranate umgekommen ist).

Den Höhepunkt erreichte die Eskalation, als die Regierung am 8. Dezember bewaffnete Militärfahrzeuge durch Paris schickte, um gegen DemonstrantInnen vorzugehen. Noch nie zuvor wurden Panzer in Paris gegen Demonstrationen eingesetzt.

Wie geht es weiter?

Die französische Regierung hält an ihrer extrem liberalen Politik fest, soziale Forderungen finden keinen Anklang. Es ist davon auszugehen, dass die Proteste der Gelbwesten weiter anhalten werden. Die französischen Gewerkschaften versuchen, politische und soziale Forderungen der Gelbwesten aufzugreifen, um ein breites Bündnis gegen die neoliberale Politik zu festigen. Die Gewerkschaft CGT (Confédération générale du travail) fordert etwa eine sofortige Anhebung des Mindestlohns und der Löhne und Pensionen sowie Steuergerechtigkeit.

Gleichzeitig finden innerhalb der Gelbwesten intensive Diskussionen darüber statt, wie es weitergehen soll. Diese Überlegungen finden stark in ihren regionalen Strukturen statt, werden aber unter Umständen in den nächsten Wochen national koordiniert. Es gibt einzelne Strömungen, die darüber nachdenken, bei den nächsten Wahlen anzutreten – was andere wiederum ablehnen. Jedenfalls wird daran gearbeitet, konkrete Forderungen zu formulieren und durch den offenen Protest politischen Fortschritt zu erwirken.