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Soziales Europa oder Freihandelszone für Konzerne?

Mit dieser Frage setzten sich ÖGB Präsident Wolfgang Katzian und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am 4. Oktober auseinander.

ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian nutzte sein Eröffnungs-Statement um klar zu machen, dass ein Soziales Europa, in dem die Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen im Mittelpunkt stehen, die zentrale Forderung der Gewerkschaftsbewegung in Österreich sei. Wie wichtig diese klare Positionierung ist, zeigen nicht zuletzt die politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre, in denen die Angriffe auf Gewerkschaften und Kollektivverträge in ganz Europa zugenommen haben.

EU-Kommissionspräsident Juncker pflichtete Wolfgang Katzian bei und sprach ebenfalls von einer unterentwickelten sozialen Dimension auf europäischer Ebene. Aus seiner Sicht scheitere die Umsetzung dieser jedoch nicht an der Kommission, die sich mit dem Parlament beispielsweise für eine Ausweitung der Säule Sozialer Rechte einsetzt, sondern stets am Wiederstand der Mitgliedstaaten, die die Entwicklungen auf dieser Ebene blockieren würden.

Lohn- und Sozialdumping durch die europäische Arbeitsbehörde verhindern

Durch die Überarbeitung der Entsenderichtlinie, die „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ vorsieht, ist bereits ein wichtiger Schritt gelungen. ÖGB-Präsident Katzian sieht die Problematik beim Lohn- und Sozialdumping nun vor allem auf der Ebene der Vollstreckung. Es gelingt den Behörden nämlich nur selten, die Vergehen auch tatsächlich exekutieren zu können. Katzian forderte daher Fortschritte bei der europäischen Arbeitsbehörde, die grenzüberschreitende Befugnisse haben soll.

Juncker erklärt, dass die Kommission diese Behörde ebenfalls auf den Weg bringen möchte. Blockiert wird ihre Einführung allerdings von einigen Mitgliedsstaaten, darunter auch Österreich. Bei beiden Diskussionspartnern herrschte Unverständnis darüber warum die Bundesregierung gegen eine solche Institution auftritt, wo doch vor allem Österreich durch die angrenzenden Oststaaten massiv davon profitieren würde.

Europäische Gesetzgebung ist Mindestnorm, nicht Höchstgrenze!

Das von der österreichischen Bundesregierung kritisierte „Gold Plating“ war ebenso Thema der Podiumsdiskussion. Dabei geht es um Gesetze, die über die EU-weiten Mindest-Regelungen hinausgehen. Was die Industrie als lästige Überregulierung bezeichnet, ist aber vielmehr aus gutem Grund gewachsenes österreichisches Rech – wie etwa fünf Wochen bezahlter Urlaub.

Der EU-Kommissionspräsident betonte, dass es sich bei den europäischen gesetzlichen Regelungen lediglich um Mindestnormen handle, die auf Unionsebene festgelegt werden, aber vor allem für Staaten mit hohen Standards, wie Österreich, nicht ausreichend seien. Sie dienen vielmehr dazu, das Niveau in Europa graduell anzuheben. ÖGB Präsident Wolfgang Katzian kritisierte beim Thema „Gold Plating“ vor allem die österreichische Bundesregierung scharf, denn diese verfolge unter diesem Motto einen Abbau sozialer Standards, der vor allem die Beschäftigten treffe.

Steuergerechtigkeit muss geschaffen werden

Darüber, dass Konzerngewinne dort zu besteuern sind wo sie entstehen, waren sich beide Präsidenten einig. Jean-Claude Juncker warb aber bei der Podiumsdiskussion für einen „fairen Steuerwettbewerb“ zwischen den Staaten, der den Unternehmen zugutekommen soll. Er möchte zwar die gemeinsame konsolidierte Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage voranbringen, zeigte sich jedoch beim Thema gemeinsamer Mindeststeuersätze zurückhaltend, die Wolfgang Katzian diskutieren wollte.

Freier Handel darf hohe soziale Standards nicht untergraben

Unterschiedlich waren die Meinungen auch beim Thema Freihandel. ÖGB Präsident Katzian machte klar, dass sich die Gewerkschaften nicht gegen Freihandel, sondern lediglich gegen den Versuch, im Zuge solcher Abkommen soziale Standards wie beispielsweise Liberalisierungen in der Daseinsvorsorge zu ermöglichen, stellen. Kommissionspräsident Juncker hingegen verteidigte die Handelspolitik der Kommission.

Europa wird entweder sozial sein, oder es wird nicht sein

Abschließend führte Juncker aus, dass aus seiner Sicht zu viele Beschäftigungsverhältnisse in Europa prekär seien und eines besseren Schutzes bedürfen. Er verwies dabei aber auch auf die nationalen Gesetzgebungen der einzelnen Staaten. Der Kommissionspräsident legte ebenfalls dar, dass im Zuge des Integrationsprozesses die physischen Grenzen in Europa zwar abgebaut wurden, bei der Sozialpolitik jedoch weiterhin ein nationalstaatliches Denken vorherrsche.

ÖGB-Präsident Katzian stellte in seinem Schluss-Statement fest, dass Europa nur dann erfolgreich sein kann, wenn es auch eine starke Soziale Dimension habe. Er verwies dabei einmal mehr darauf, dass auch auf europäischer Ebene die Frage der Verteilungsgerechtigkeit eine größere Rolle spielen müsse. Eine Stärkung der sozialen Agenden wäre von enormer Bedeutung, ansonsten bestünde die Gefahr, dass immer mehr ArbeitnehmerInnen nationalistische Parteien unterstützen, die das europäische Projekt letztlich zum Scheitern bringen könnten.