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Ungarn setzt Demokratie und Arbeitsrechte außer Kraft

Ungarns Regierungschef Viktor Orban nutzt die Corona-Krise, um neben dem Parlament und der Meinungsfreiheit auch das Arbeitsrecht sowie kollektivvertragliche Bestimmungen unbefristet außer Kraft zu setzen. Die meisten Gewerkschaften verurteilen diese einseitigen Maßnahmen scharf und kritisieren auch die mangelhafte Krisenbewältigungspolitik der Regierung, die zu unbezahlten Urlauben und Arbeitslosigkeit führt. Sie setzen ihrerseits auf Vorschläge, die die Arbeitsplätze sowie die Einkommen der Beschäftigten sichern würden. Die Arbeitgeberverbände nützen die Gelegenheit, um die Rechte der Beschäftigten weiter zurückzudrängen und fordern sogar EU-rechtswidrige Bestimmungen. Orban kriminalisiert unterdessen mittlerweile sogar KritikerInnen, die seiner Krisenpolitik widersprechen.

Unzureichende Maßnahmen zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes

Die dramatischen wirtschaftlichen Folgen des Corona-Virus wirken sich auch auf den ungarischen Arbeitsmarkt mit besonderer Härte aus. Regierungschef Orban hat deshalb in einem ersten Maßnahmenpaket mit Steuerbefreiungen, der Aussetzung von Steuervollstreckungsverfahren bzw. der Befreiung von Sozialversicherungsbeiträgen für Unternehmen reagiert. Der Umfang dieser Maßnahmen reicht jedoch bei weitem nicht aus, um Unternehmen, die aufgrund fehlender Aufträge und in Folge dessen fehlender Einnahmen, die Löhne nicht mehr zahlen können, ausreichend zu unterstützen.

In Folge schlittern tausende Beschäftigte in die Arbeitslosigkeit oder werden in unbezahlten Urlaub geschickt. Das Rückgrat der ungarischen Wirtschaft, die Automobilindustrie, verarbeitende Industrien oder die vielen Zulieferer-KMUs werden von diesen Maßnahmen gar nicht erst erfasst. Diese gelten vorerst lediglich nur für bestimmte Sektoren wie den Tourismus, Gaststätten oder den Personenverkehr. Erst im Lauf der nächsten Woche soll ein Konjunkturpaket verabschiedet werden. Währenddessen ist die Automobilindustrie fast vollständig lahmgelegt und tausende Beschäftigte wurden in unbezahlten Urlaub geschickt.

Regierung setzt Arbeitsrecht gänzlich außer Kraft 

Die Regierung nützt die aktuelle Krise, um die ohnehin schwachen rechtlichen und kollektivvertraglichen Bestimmungen zum Schutz der Beschäftigten einzuschränken oder gar außer Kraft zu setzen. Die Beschäftigungsbedingungen wurden dahingehend flexibilisiert, dass Arbeitsverträge sowie Vereinbarungen zwischen Beschäftigten und Unternehmen künftig „leichter“ abänderbar sein sollen, was zu einer Verschlechterung der Beschäftigungsbedingungen führen wird.

Orban ist jedoch noch einen erheblichen Schritt weitergegangen und hat das ungarische Arbeitsgesetz für die bisher unbegrenzte Dauer des Ausnahmezustandes vollkommen außer Kraft gesetzt. Auch kollektivvertragliche Vereinbarungen auf allen Ebenen werden dadurch obsolet. Das ist ein massiver Angriff auf grundlegende Rechte der Beschäftigten. 

Gewerkschaften reagieren empört auf unverhältnismäßige Maßnahmen

Vier ungarische Gewerkschaftsbünde (ÉSZT, LIGA, MASZSZ, SZEF) haben bereits eine Erklärung abgegeben, in der sie die von der Regierung gesetzten Maßnahmen zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes für nicht ausreichend, nicht angemessen und, da sie nicht alle Branchen betreffen, für unvollständig erachten. Besonders scharf kritisieren sie die Aussetzung des Arbeitsrechts und die Flexibilisierung der Beschäftigungsbedingungen. Diese bilden eine unverhältnismäßige Reaktion auf die aktuellen Herausforderungen am Arbeitsmarkt und schwächen Gewerkschaften sowie die Rechte der ArbeitnehmerInnen massiv. Kritisiert wird darüber hinaus der nicht vorhandene Dialog mit den SozialpartnerInnen und die Gewerkschaften pochen darauf, dass Beschäftigte nicht ohne Einkommen zurückgelassen werden dürfen. Sie setzen ihrerseits auf Vorschläge, die die Arbeitsplätze sowie die Einkommen der Beschäftigten sichern sollen. 

ArbeitgeberInnenverbände fordern weitere Einschnitte auf Kosten Beschäftigter

Bereits jetzt können Unternehmen in Ungarn zwei Wochen des Jahresurlaubs ihrer Beschäftigten oder den Abbau eines Teiles der Überstunden einseitig festlegen. Im Zuge der Corona-Krise fordern die ArbeitgeberInnen nun sogar eine Ausweitung dieser Bestimmungen und wollen diese auch in den kommenden Jahren weiter zu ihren Gunsten ausgebaut wissen. Auch eine Aussetzung der Vorschriften über Massenentlassungen wird gefordert. Dadurch könnte eine beliebige Anzahl an Beschäftigten jederzeit ohne Ankündigungen oder Meldepflichten entlassen werden. Diese Forderungen widersprechen in mehreren Punkten sogar geltendem EU-Recht.

Orbans Kampf gegen Menschenrechte und die Demokratie 

Am 11. März hat Orban in Ungarn aufgrund der Corona-Krise den unbefristeten Notstand ausgerufen. Auf einen Kompromissvorschlag der Opposition, der eine zeitliche Befristung für diesen Notstand von 90 Tagen vorsah (und die mögliche Verlängerung bei Notwendigkeit), ging Orban nicht ein.

Mit der Ausrufung des Notstandes wurden einschneidende Maßnahmen beschlossen, die beispielsweise die Verbreitung von Falschinformationen (dies kann eine abweichende Meinung zu den Regierungsmaßnahmen umfassen) in Bezug auf das Coronavirus gesetzlich verbieten und mit Gefängnisstrafen von 1-3 Jahren ahnden. Davon betroffen sein könnten beispielsweise Postings Einzelner in Social-Media-Kanälen, aber auch regierungskritische Nachrichtensendungen. Theoretisch wären davon auch gewerkschaftspolitische Standpunkte bzw. Kritik an den verordneten Regierungsmaßnahmen betroffen. Orban regiert Ungarn derzeit unbefristet per Dekret.