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Ein Foul am Europäischen Gesetzgebungsprozess

In den Medien wurde das Lieferkettengesetz in den letzten Wochen heftig diskutiert. Auch in Brüssel gingen die Wogen hoch. Ich will nun den Rahmen dazu erklären. Der Gesetzgebungsprozess für europäische Gesetze ist üblicherweise der folgende: Die Europäische Kommission schlägt ein Gesetz vor. Das Europäische Parlament, im jeweiligen Fachausschuss, und der Rat, also die Vertreter:innen der Mitgliedstaaten, arbeiten mit diesem Gesetzesvorschlag weiter. Sie ändern ihn so ab, wie sie ihn für am praktikabelsten zur Zielerreichung halten. Das Parlament und der Rat stimmen dann jeweils ihre Verhandlungsposition ab.

Luiza Puiu

Mit diesen Verhandlungsmandaten gehen sie in die sogenannten Trilogverhandlungen: Dabei sitzen Vertreter:innen von Kommission, Parlament und Rat um einen Tisch und versuchen einen gemeinsamen Nenner zu finden. Das kleine Verhandlungsteam gibt dabei regelmäßig ihren Kolleg:innen, die nicht mit am Verhandlungstisch sitzen, Rückmeldung. Es ist Aufgabe der Verhandler:innen dafür zu sorgen, dass bei den Schlussabstimmungen die Mehrheit gegeben ist.

Für die Parlamentsseite heißt das, dass die Verhandler:innen dafür sorgen müssen, dass die großen politischen Parteien den Kompromiss mittragen und somit im Plenum den ausverhandelten Deal unterstützen. Für die Ratsseite bedeutet es, dass es wichtig ist, dass eine Mehrheit der Staaten das finale Ergebnis unterstützt. Teilweise liegen die Anfangspositionen, mit denen die Institutionen in die Verhandlungen gehen, aber weit auseinander. Es ist deshalb essentiell, dass sie ihren Kolleg:innen regelmäßig über den Verlauf der Verhandlungen berichten und besprechen, wenn sie sich vom jeweiligen Ausgangsmandat entfernen, um zur Einigung zwischen den Institutionen zu kommen. Dabei können Parlament und Rat ihrem Verhandlungsteam auch rote Linien aufzeigen, die das Verhandlungsteam nicht überschreiten soll, weil sonst einzelne Länder im Rat oder Parteien im Parlament bei der Schlussabstimmung nicht mehr mitstimmen können.

Zurück zum Lieferkettengesetz: Diese Verhandlungslogik wurde eingehalten, die roten Linien wurden respektiert, der finale Kompromiss ausgehandelt. Es wurde regelmäßig rückerstattet und Staaten und Parteien haben sich konstruktiv bei den Verhandlungen eingebracht, ihre Anliegen wurden berücksichtigt. Keine Seite hat ihr „volles Paket“ bekommen, aber man war sich einig: Es ist ein guter Kompromiss.

Als folgenden Schritt müssten Rat und Parlament noch einmal abstimmen. Hier kommt jetzt die Überraschung: Die deutsche liberale Partei blockiert plötzlich das Abstimmungsergebnis. Wo liegt dabei der Haken? Wenn Parteien oder Staaten mit einzelnen Punkten nicht einverstanden sind, dann müssen diese Bedenken im Rahmen der Verhandlungen eingebracht werden, sodass man sie berücksichtigen kann – ganz im Sinne eines demokratischen Gesetzgebungsprozesses. Wenn dies jedoch zuvor nicht gemacht wurde und man am Ende eines jahrelangen Prozesses das komplette Ergebnis einfach blockiert, dann ist es undemokratisch und ein klares Foul am Europäischen Gesetzgebungsprozess.

Warum hat eine kleine Partei wie die FDP so viel Macht, fragen sich jetzt viele. Der Haken dabei liegt beim nationalen deutschen Koalitionsvertrag: der besagt, dass der zuständige Minister sich im Rat nicht für ein Gesetz aussprechen darf, wenn ein:e andere:r Minister:in dagegen ist. Und wir beobachten, dass die Kleinpartei FDP diese Klausel nun wiederholt nutzt und somit die gesamte EU unter Druck setzen kann.

Das größere Problem in diesem Kontext: Andere kleine Staaten fallen mit um - so leider auch Österreich. Österreich hatte das Lieferkettengesetz während der Verhandlungen mitgetragen. Die zuständige Bundesministerin Alma Zadic hat sich lautstark für dieses wegweisende Gesetz ausgesprochen. Leider grätscht nun auch Bundesminister Kocher hinein und will es der FDP gleichtun und blockiert Österreichs Zustimmung im Rat für das Gesetz. In Brüssel wird händeringend nach Lösungen gesucht, um dieses große Projekt so kurz vor der Zielgeraden noch fertigzustellen.

Was wir in diesem Kontext nicht vergessen dürfen: Bei einem Lieferkettengesetz geht es um unsere Zukunft und die unserer nächsten Generationen. Jedes Produkt, das auf unserem EU-Markt gekauft wird, soll umwelt- und menschenrechtskonform produziert werden. Der Gesetzestext dazu ist schon fertig ausgehandelt. Wir haben die einmalige Chance, Unternehmen in die Pflicht zu nehmen und Konsument:innen Transparenz zu geben. Und diese Chance können wir nicht einfach verstreichen lassen. Ich werde mich weiterhin dafür einsetzen. Wir brauchen das Lieferkettengesetz. Jetzt!