EuGH zur Mindestlohnrichtlinie: Die EU darf und muss für faire Löhne eintreten
Der Europäische Gerichtshof hat die Klage gegen die EU-Mindestlohnrichtlinie weitgehend abgewiesen. Die Richtlinie bleibt in Kraft. Wer sie jetzt nicht rasch umsetzt, zeigt klar: Beschäftigte und Arbeitsbedingungen sind keine Priorität.
Die EU-Mindestlohnrichtlinie ist eine der wichtigsten sozialpolitischen Errungenschaften der letzten Jahre. Sie verpflichtet Mitgliedstaaten, Kollektivverträge zu stärken und so angemessene Mindestlöhne sicherzustellen. Dänemark und Schweden hatten gegen die Richtlinie geklagt – und sind nun vor dem Europäischen Gerichtshof gescheitert.
Zwei zentrale Ziele: Faire Löhne und hohe KV-Abdeckung
Die Mindestlohnrichtlinie verfolgt zwei zentrale Ziele:
- Wer arbeitet, soll einen angemessenen Lohn erhalten, von dem man leben kann. Als Orientierung bei der Frage, was „angemessen“ ist, dienen 60 % des Bruttomedianlohns oder 50% des Bruttodurchschnittslohns.
- Kollektivverträge stärken den Ausgleich von Interessen und die Auseinandersetzung auf Augenhöhe. Deshalb sollen möglichst viele Beschäftigte von KVs erfasst sein. In Ländern, in denen weniger als 80% der Beschäftigten erfasst sind, müssen Maßnahmen zur Ausweitung der KV-Abdeckung ergriffen werden.
Es geht also nicht um Einheitslöhne aus Brüssel, sondern um faire Spielregeln für alle.
Die Klagsgründe: Viel Lärm um nichts
Die Klagsgründe vor dem EuGH halten keiner Prüfung stand:
Die Richtlinie mischt sich in die Lohnfestlegung ein!
Falsch! Richtig ist: Die Richtlinie lässt Staaten und Sozialpartnern freie Wahl bei ihren Modellen zur Lohnfestlegung und weist ausdrücklich darauf hin, dass die unterschiedlichen nationalen Gepflogenheiten und Besonderheiten berücksichtigt werden sollen. Konkret sollen Staaten, in denen die KV-Abdeckung unter 80% liegt, Maßnahmen zur Erhöhung treffen, entweder durch Vereinbarungen mit den Sozialpartnern oder per Gesetz unter Einbeziehung der Sozialpartner.
Die Richtlinie schränkt die Möglichkeiten der Sozialpartner ein!
Falsch! Richtig ist: Die Richtlinie schreibt Staaten vor, die Handlungs- und Verhandlungsmöglichkeiten der Sozialpartner abzusichern, damit auf Augenhöhe faire Arbeitsbedingungen verhandelt werden können.
Die EU mischt sich ohne Rechtsgrundlage in etwas ein, das sie nichts angeht!
Falsch! Richtig ist: Die EU hat in ihren Grundsatzverträgen festgelegt, dass gute Arbeits- und Lebensbedingungen ein offizielles Ziel sind, und genau darum geht es in dieser Richtlinie: Faire Arbeitsbedingungen durch kollektive Verhandlungen.
Der EuGH hat nur einen kleinen Teil der Richtlinie für nichtig erklärt: die detaillierten Kriterien zur Bewertung der Angemessenheit von Mindestlöhnen in Artikel 5 Absatz 2 wurden letztlich als zu spezifisch bewertet. Die Kernbestimmungen bleiben vollständig erhalten – darunter die Referenzwerte von 50 und 60 Prozent sowie alle Vorschriften zur Förderung von Kollektivvertragsverhandlungen.
Wer muss jetzt handeln?
Von 27 EU-Staaten müssen nun 19 jetzt aktiv werden. Sie sollen gemeinsam mit den Sozialpartnern Aktionspläne und Maßnahmen zur Steigerung der KV-Abdeckung auf 80% vorlegen. In manchen Ländern wie Polen, Griechenland oder Rumänien liegt die Abdeckung derzeit bei unter 15%.
Die übrigen acht Staaten haben bereits eine KV-Abdeckung über 80% und müssen nichts tun. Dazu zählt Österreich mit 98%. Auch Dänemark und Schweden, die die Richtlinie kippen wollten, haben durch die Richtlinie keine neuen Verpflichtungen.
Der Europäische Gewerkschaftsbund hat eine Website zu diesem Thema erstellt. Auf einen Blick kann man auf „Wage-up“ (https://wage-up.etuc.org/) recherchieren, wie hoch der Mindestlohn in einem Land ist und wie viele Beschäftigte von einem Kollektivvertrag erfasst sind. Auch der durchschnittliche Gender Pay Gap wird ausgewiesen.
Kein Papiertiger: Richtlinie bringt handfeste Verbesserungen
Obwohl viele Länder in der Umsetzung der Mindestlohnrichtlinie noch säumig sind (Frist war November 2024) und das Ziel von 80% KV-Abdeckung noch weit entfernt, zeigt die Richtlinie bereits Wirkung. In Bulgarien wurde der gesetzliche Mindestlohn auf 50% des Durchschnittslohns festgelegt. In Polen wird über eine Anhebung auf 55% diskutiert. Kroatien, Irland und Estland nutzen die Referenzwerte der Richtlinie als politische Leitlinie bei der Festsetzung ihrer Mindestlöhne.
Das sind handfeste Verbesserungen, die ohne die Richtlinie nicht eingetreten wären.