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Europa, näher: Spanische Ratspräsidentschaft forciert soziale Themen

Parlamentswahlen könnten Programm des Vorsitzes beeinflussen

pixelio.de - Andreas Hermsdorf

Von 1. Juli bis 31. Dezember hat Spanien die EU-Ratspräsidentschaft inne. Dem Land wird dabei nicht nur die Aufgabe zuteil, aktuelle europapolitische Herausforderungen zu bewältigen, sondern es kann auch individuelle Schwerpunkte setzen und dadurch die politische Agenda in eine gewünschte Richtung vorantreiben. Das von der aktuellen Regierung verfolgte Programm für den Ratsvorsitz enthält ein umfangreiches Kapitel zu sozial- und beschäftigungspolitischen Themen und steht für einen Ausbau des sozialen Dialoges. Die wichtigsten Punkte des spanischen Ratsvorsitzes haben wir hier zusammengefasst.

Reindustrialisierung der EU und Gewährleistung ihrer strategischen Autonomie

Die zunehmende internationale Vernetzung der Volkswirtschaften bzw. des EU-Binnenmarktes in den letzten Jahrzehnten hat der EU zwar Wirtschaftswachstum ermöglicht, jedoch auch die Auslagerung von Industriezweigen strategischer Sektoren erleichtert. In Bereichen wie Energie, Gesundheit, digitaler Technologie oder Lebensmittelproduktion hat sich die Union übermäßig von Drittstaaten abhängig gemacht.

Spanien will daher jene politischen Initiativen auf EU-Ebene vorantreiben, die die Entwicklung strategischer Industrien und Technologien in Europa, den Ausbau und die Diversifizierung der Handelsbeziehungen sowie die Stärkung von Lieferketten fördern. Darüber hinaus soll eine umfassende Strategie zur Gewährleistung der wirtschaftlichen Sicherheit und der globalen Führungsrolle der EU bis 2030 vorgeschlagen werden.

Fortschritte beim ökologischen Wandel

Für Europa ist die Eindämmung der Klimaerwärmung und der Umweltzerstörung nicht nur eine rechtliche und moralische Verpflichtung, sondern auch eine große Chance. Gelingt die Umsetzung der Klimaziele, wird der grüne Wandel es uns ermöglichen, die Abhängigkeit von Energie und Rohstoffen drastisch zu verringern, Stromkosten zu senken, die Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen und allein in diesem Jahrzehnt fast eine Million Arbeitsplätze zu schaffen.

Der Ratsvorsitz wird sich daher unter anderem für eine Reform des Strommarktes stark machen, die den Einsatz erneuerbarer Energien beschleunigt und eine Senkung der Strompreise mit sich bringen soll.

Förderung sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit

Spanien bekräftigt in seinem Programm den Ansatz, dass Wirtschaftswachstum per se als Ziel nicht ausreichend ist. Es muss auch sichergestellt werden, dass der generierte Wohlstand allen Menschen zugutekommt und dazu dient, ihre Chancen und ihren Lebensstandard zu verbessern. Der Ratsvorsitz spricht daher zwar von der Notwendigkeit einer wettbewerbsfähigeren Wirtschaft, aber auch einer sozialeren und faireren.

Dementsprechend wird sich der spanische Ratsvorsitz für die Festlegung von Mindest- und gemeinsamen Standards für die Körperschaftsbesteuerung in allen Mitgliedstaaten einsetzen und die Steuerhinterziehung großer multinationaler Unternehmen bekämpfen.

Schließlich will sich Spanien für die Ausweitung der Arbeitnehmer:innenrechte in mehreren Bereichen und für schutzbedürftige Gruppen wie Kinder, von Gewalt betroffene Frauen und Menschen mit Behinderungen einsetzen.

Sozialer Dialog, menschenwürdige Arbeit und sozialere Wirtschaft

Die Präsidentschaft will den sozialen Dialog insgesamt stärken und ausbauen. Informations- und Konsultationsmechanismen, KV-Verhandlungsmodelle und die aktive Beteiligung der Beschäftigten an Entscheidungsprozessen in Unternehmen sollen gefördert werden.

Spanien wird eine Erhebung durchführen, wie KV-Verhandlungen einen gerechten grünen Übergang begünstigen und dabei Unternehmen nachhaltiger, widerstandsfähiger und produktiver machen können.

Insgesamt hat der spanische EU-Ratsvorsitz bemerkenswert viele gewerkschaftliche und sozialpolitische Themen auf seine Agenda genommen. So wurde schon im Vorfeld der Präsidentschaft der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) aufgefordert, sich unter dem Titel „Demokratie am Arbeitsplatz“ zur Zukunft der Mitbestimmung zu positionieren.

Parlamentswahl könnte politische Ausrichtung der Präsidentschaft beeinflussen

Am 23. Juli – inmitten der Ratspräsidentschaft – fanden in Spanien vorgezogene Parlamentswahlen statt. Dabei wurde die konservative Partei knapp vor der sozialistischen Partei des amtierenden Premierminister Sanchez stärkste Kraft. Mit Blick auf das Wahlergebnis und möglicher Regierungsmehrheiten ist aktuell noch nicht abzuschätzen, ob das Land künftig von einem Mitte-Links oder einem Mitte-Rechts-Bündnis angeführt werden wird. Unklar bleibt somit auch, inwieweit sich der Urnengang auf die spanische EU-Ratspräsidentschaft auswirken wird.